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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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habe mit seinem Seelsorger
gesprochen.«
    Der Anwalt schnaubte. »Wir haben es hier
also mit einem Mann zu tun, der für sich allein eine Religion praktiziert, die
offenbar Anleihen bei einer Sekte gemacht hat, die bereits vor fast zweitausend
Jahren ausgestorben ist. Ist das nicht ein bisschen zu ... nun, zu einfach?
Kann es nicht sein, dass Shay Bourne sich das alles schlicht ausgedacht hat?«
    Fletcher lächelte. »Das haben viele Leute
auch von Jesus geglaubt.«
    »Dr. Fletcher«, sagte Greenleaf, »wollen
Sie damit sagen, dass Shay Bourne ein Messias ist?«
    Fletcher schüttelte den Kopf. »Ihre
Worte, nicht meine.“
    »Was steht's dann mit den Worten Ihrer
Stieftochter?«, fragte Greenleaf. »Oder liegt es bei Ihnen in der Familie, Gott
über den Weg zu laufen, in Strafanstalten und Grundschulen und Waschsalons?«
    »Einspruch«, sagte ich. »Mein Zeuge steht
hier nicht vor Gericht.«
    Greenleaf zuckte die Achseln. »Seine
Kompetenz, die Geschichte des Christentums zu erörtern, ist -“
    »Abgelehnt«, sagte Richter Haig.
    Fletchers Augen wurden schmal. »Was meine
Tochter gesehen oder nicht gesehen hat, steht in keinem Zusammenhang mit Shay
Bournes Wunsch, sein Herz zu spenden.«
    »Haben Sie sie für eine Schwindlerin
gehalten, als Sie sie kennenlernten?«
    »Je mehr ich mit ihr sprach, desto mehr

    »Als Sie sie kennenlernten«, fiel
Greenleaf ihm ins Wort, »haben Sie sie da für eine Schwindlerin gehalten?«
    »Ja«, gab Fletcher zu.
    »Und obwohl Sie nie mit Mr Bourne
persönlich gesprochen haben, waren Sie dennoch bereit, vor diesem Gericht
auszusagen, dass sich sein Wunsch, sein Herz zu spenden, so auslegen ließe,
dass er in Ihre weite Definition von einer Religion passt.« Greenleaf bedachte
ihn mit einem vielsagenden Blick. »Sie scheinen ziemlich schnell die Seiten zu
wechseln.«
    »Einspruch!«
    »Ich nehme die letzte Bemerkung zurück.«
Greenleaf war schon auf dem Weg zu seinem Platz, drehte sich dann aber noch
einmal um. »Eine Frage noch, Dr. Fletcher. Ihre Tochter war sieben, als sie
plötzlich im Mittelpunkt eines religiösen Medienzirkus stand, der an den hier
erinnert, richtig?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie eigentlich, dass das kleine
Mädchen, das Shay Bourne ermordet hat, genauso alt war?«
    Ein Muskel in Fletchers Wange zuckte.
»Nein. Das wusste ich nicht.«
    »Was glauben Sie, wie Sie zu Gott stehen
würden, wenn Ihre Stieftochter das Opfer gewesen wäre?«
    Ich sprang auf. »Einspruch!«
    »Ich erlaube die Frage«, sagte der
Richter.
    Fletcher hielt inne. »Ich denke, eine
solche Tragödie würde den Glauben eines jeden Menschen auf die Probe stellen.«
    Gordon Greenleaf verschränkte die Arme.
»Dann ist man kein gläubiger Mensch«, sagte er. »Dann ist man ein Chamäleon.«
     
    MICHAEL
     
    In der Mittagspause besuchte ich Shay in
der Gerichtszelle. Er hockte auf dem Boden, vor den Gitterstäben, bewacht von
einem US-Marshal, der draußen auf einem Schemel saß. Shay hatte einen Bleistift
und ein Blatt Papier in der Hand, wie ein Reporter, der ein Interview führt.
    »H«, sagte der Marshai, und Shay
schüttelte den Kopf. »M?«
    Shay malte etwas auf das Blatt Papier.
»Fehlt nur noch ein Bein, Mann.«
    Der Marshai saugte die Luft ein. »K.«
    Shay grinste. »Ich hab gewonnen.« Er
kritzelte noch etwas auf das Blatt und reichte es durch das Gitter - erst da
sah ich, dass sie Galgenmännchen gespielt hatten und dass dieses eine Mal Shay
der Henker gewesen war.
    Mit finsterer Miene blickte der Marshai
auf das Papier. »Szyg-szyg ist doch kein richtiges Wort.«
    »Sie haben nicht gesagt, dass es ein
richtiges Wort sein muss«, erwiderte Shay, und dann bemerkte er mich an der
Tür.
    »Ich bin Shays Seelsorger«, sagte ich zu
dem Marshai. »Könnten Sie uns kurz allein lassen?«
    »Kein Problem. Ich muss sowieso mal für
kleine Jungs.« Er stand auf, bot mir seinen Schemel an und verschwand aus dem
Raum.
    »Wie geht's Ihnen?«, fragte ich leise.
    Shay zog sich nach hinten in die Zelle
zurück, wo er sich auf die Metallpritsche legte und zur Wand drehte. »Ich will
mit Ihnen reden, Shay.«
    »Nur weil Sie reden wollen, muss ich noch
lange nicht zuhören wollen.«
    Ich ließ mich auf den Schemel nieder.
»Ich hab damals von den Geschworenen als Letzter für die Todesstrafe gestimmt«,
sagte ich. »Ich war der Grund, warum wir so lange beraten haben. Und selbst
nachdem die anderen mich überzeugt hatten, dass das die beste Strafe war, hatte
ich kein gutes Gefühl. Ich hatte immer wieder

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