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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Shay, eine gehabt
hatte.
    »Ich hab mal auf einer Farm gearbeitet«,
sagte Shay geistesabwesend. »Einen Schuppen gebaut. Eines Tages sah ich, wie
der Farmer einen Riesensack Futter für seine Rinder mitten auf der Weide
ausschüttete. Ich fand das richtig toll - wie Weihnachten für die Kühe! -, bis
ich den Lastwagen vom Schlachter vorfahren sah. Der Farmer wollte, dass sie
sich noch einmal richtig vollfraßen, als Henkersmahlzeit.«
    Shay drehte das Pommesstäbchen, das er
zwischen den Fingern hielt, legte es dann zurück auf den Teller. »Wollen Sie
was?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ja«, sagte er leise. »Ich hab eigentlich
auch keinen Hunger.«
     
    Shays Hinrichtung war für zehn Uhr
anberaumt. Früher wurden Todesstrafen um Mitternacht vollstreckt, doch da das
den Charakter einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte, fanden die Exekutionen
tagsüber statt. Angehörige des Häftlings durften bis zu drei Stunden vor der
Vollstreckung bleiben - doch Shay hatte Grace gebeten, nicht zu kommen -,
Anwalt und Seelsorger bis fünfundvierzig Minuten vorher.
    Danach würde Shay allein sein, bis auf
den Aufseher, der ihn bewachte.
    Nachdem das Tablett mit dem Frühstück
weggebracht worden war, bekam Shay Durchfall. Der Aufseher und ich drehten uns
um, um ihm etwas Privatsphäre zu gönnen, und taten anschließend so, als wäre
nichts gewesen. Kurz darauf kam Maggie. Ihre Augen waren rot gerändert, und sie
wischte sie sich andauernd mit einem zerknüllten Taschentuch. »Ich hab Ihnen
was mitgebracht«, sagte sie, und dann sah sie, wie überwuchert die Zelle war.
»Was ist das denn?«
    »Globale Erwärmung?«, sagte ich.
    »Tja. Dann ist mein Geschenk eigentlich
überflüssig.« Maggie leerte ihre Taschen, die voll waren mit Gras, Lupinen,
Frauenschuh, Indianerpinsel, Butterblumen.
    Sie reichte Shay alles durch das
Metallgitter der Tür. »Danke, Maggie.«
    »Um Gottes willen, hören Sie bloß auf,
mir zu danken«, sagte Maggie. »Ich wünschte, es würde nicht so enden, Shay.« Sie
zögerte. »Was, wenn ich -«
    »Nein.« Shay schüttelte den Kopf. »Es ist
fast vorbei, und dann können Sie wieder Leute retten, die gerettet werden
wollen. Mir geht's gut, wirklich. Ich bin bereit.«
    Maggie öffnete den Mund, um etwas zu
sagen, doch dann preßte sie die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich
werde da stehen, wo Sie mich sehen können.«
    Shay schluckte. »Okay.«
    »Ich kann nicht länger bleiben. Ich muss
mich vergewissern, dass Direktor Coyne mit dem Krankenhaus gesprochen hat, damit
auch alles planmäßig abläuft.«
    Shay nickte. »Maggie«, sagte er,
»versprechen Sie mir was?«
    »Klar, Shay.«
    Er legte den Kopf an die Metalltür.
»Vergessen Sie mich nicht.«
    »Niemals, Shay«, sagte Maggie, und sie
drückte die Lippen an die Tür, als könnte sie Shay einen Abschiedskuß geben.
    Plötzlich waren wir allein, und uns blieb
nur noch eine halbe Stunde.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte ich. »Ahm«, sagte Shay. »Könnte
nicht besser sein?“
    »Klar. Blöde Frage.« Ich schüttelte den
Kopf. »Möchten Sie reden? Beten? Allein sein?«
    »Nein«, sagte Shay rasch. »Das nicht.“
    »Kann ich denn gar nichts tun?«
    »Doch«, sagte er. »Erzählen Sie mir noch
mal von ihr.«
    Ich zögerte. »Sie ist auf dem
Spielplatz«, sagte ich. »Streckt die Beine auf der Schaukel mit aller Kraft.
Als sie ganz hoch ist und sicher ist, dass sie mit den Turnschuhen eine Wolke
berührt hat, springt sie ab, weil sie glaubt, dass sie fliegen kann.«
    »Sie hat lange Haare, und die wehen wie
eine Fahne hinter ihr her«, fügte Shay hinzu.
    »Haare wie im Märchen. So blond, dass sie
fast silbern aussehen.«
    »Ein Märchen«, wiederholte Shay. »Ein
Happy End.“
    »Das ist es, für sie. Sie schenken ihr
ein ganz neues Leben, Shay.«
    »Ich rette sie wieder. Ich rette sie zum
zweiten Mal. Jetzt mit meinem Herzen und das erste Mal, bevor sie geboren
wurde.« Er sah mich direkt an. »Er hätte nicht nur Elizabeth etwas antun
können. Sie ist in die Schußlinie geraten, als die Pistole losging ... aber er
... ich musste es tun.«
    Ich blickte über die Schulter zu dem
Aufseher, doch der hatte sich in die äußerste Ecke zurückgezogen, wo er in sein
Walkie-Talkie sprach. Meine Worte waren zäh, wie Gummi. »Dann haben Sie also
doch einen Mord begangen.«
    Shay zuckte die Achseln. »Manche Leute«,
sagte er schlicht, »haben den Tod verdient.«
    Ich stand sprachlos da, als der Aufseher
näher kam. »Father Michael, es tut mir wirklich

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