Das Herz ihrer Tochter
langer
schmuckloser Metalltisch, auf dem Akten und Unterlagen verteilt waren. Sobald
er Platz genommen hatte, packte er ein Kaugummi aus. »Nicorette«, erklärte er.
»Meine Frau will, dass ich mit dem Rauchen aufhöre, und wenn ich ehrlich bin,
ich würde mir lieber den linken Arm abhacken lassen.« Er öffnete eine Akte mit
einer Zahl darauf - Shay Bourne war hier auch der Name genommen worden. »Ich
freue mich sehr, dass Sie da sind. Wir sind im Augenblick etwas knapp mit
Seelsorgern.«
Das Gefängnis hatte einen festen
Seelsorger, einen Episkopalpriester, der zu seinem todkranken Vater nach
Australien geflogen war. Wenn also ein Häftling mit einem Geistlichen sprechen
wollte, wurde jemand aus den umliegenden Gemeinden gerufen.
»Ich bin gern gekommen«, log ich und nahm
mir vor, später zur Buße einen Rosenkranz zu beten.
Er schob mir die Akte hin. »Shay Bourne. Kennen
Sie ihn?«
Ich zögerte. »Wer kennt ihn nicht?«
»Kann man wohl sagen, der Medienrummel
ist zum Kotzen, verzeihen Sie meine Ausdrucksweise. Aber diese ganze Aufmerksamkeit
ist ärgerlich. Jedenfalls, der Häftling will seine Organe nach seiner Hinrichtung
spenden.«
»Die katholische Kirche unterstützt die
Organspende, vorausgesetzt, der Patient ist garantiert hirntot und kann nicht
mehr selbsttätig atmen«, sagte ich.
Anscheinend war das die falsche Antwort.
Coyne hob ein Papiertaschentuch, blickte finster und spuckte das Kaugummi
hinein. »Ja, toll, verstehe. Das ist die offizielle Haltung. Aber in diesem
Fall ist die Situation die, dass es für den Burschen fünf vor zwölf ist. Er
wurde wegen Doppelmordes verurteilt. Glauben Sie, er hat plötzlich seine
humanitäre Ader entdeckt... oder könnte es vielleicht sein, dass er
öffentliches Mitgefühl schüren will, um seine Hinrichtung zu verhindern?«
»Vielleicht möchte er ja bloß, dass sein
Tod auch etwas Gutes bewirkt...«
»Die tödliche Injektion verursacht einen
Herzstillstand«, sagte Coyne unumwunden.
Einige Zeit zuvor hatte ich einer Frau
aus unserer Gemeinde bei der Entscheidung geholfen, die Organe ihres Sohnes zu
spenden, der nach einem Motorradunfall hirntot war. Der Hirntod, so hatte man
ihr im Krankenhaus erklärt, unterschied sich vom Herztod. Ihrem Sohn war auf
jeden Fall nicht mehr zu helfen - er würde nie wieder aufwachen, wie es bei
Komapatienten möglich war -, sein Herz schlug nur noch, weil er künstlich
beatmet wurde. Bei einem Herztod hingegen wären die Organe für eine
Transplantation nicht mehr zu gebrauchen.
Ich lehnte mich zurück. »Direktor Coyne,
ich war in dem Glauben, Häftling Bourne hätte den Wunsch nach geistlichem
Beistand geäußert...«
»Hat er. Und wir möchten, dass Sie ihm
die verrückte Idee ausreden.« Der Direktor seufzte. »Sehen Sie, ich weiß, wie
sich das für Sie anhören muss. Aber Bourne wird hingerichtet werden. Das ist
eine Tatsache. Entweder die Sache schlägt hohe Wellen ... oder sie geht
einigermaßen diskret über die Bühne.« Er blickte mich forschend an. »Ist Ihnen
klar, was Sie zu tun haben?«
»Glasklar«, sagte ich leise.
Ich hatte mich schon einmal von anderen
lenken lassen, weil ich dachte, sie wüßten mehr als ich. Jim, einer meiner
Mitgeschworenen, hatte aus der Bergpredigt zitiert, um mich zu überzeugen,
dass es gerecht sei, einen Tod mit einem anderen Tod zu vergelten. Aber
inzwischen wusste ich, dass Jesus das Gegenteil gesagt hatte - dass er sich von
jenen abwandte, die das Verbrechen durch die Strafe verschlimmerten.
Ich würde mir auf gar keinen Fall von
Direktor Coyne sagen lassen, was ich Shay Bourne raten würde.
Im selben Augenblick wurde mir eines
klar: Falls Bourne mich nicht wiedererkannte, würde ich ihm nicht sagen, dass
unsere Wege sich schon einmal gekreuzt hatten. Hier ging es nicht um meine Erlösung, sondern um
seine. Und auch wenn ich entscheidend daran beteiligt gewesen war, sein Leben
zu zerstören, jetzt - als Priester - war es meine Aufgabe, ihn zu erretten.
»Ich würde gern mit Mr. Bourne sprechen«,
sagte ich.
Der Direktor nickte. »Hab ich mir
gedacht.« Er stand auf und führte mich durch den Verwaltungstrakt. Wir bogen um
eine Ecke und kamen zu einem Kontrollraum neben einer Stahltür. Der Direktor
winkte, und der Aufseher hinter der Scheibe drückte einen Knopf, woraufhin ein
Summen ertönte und die Stahltür mit einem metallischen Scharren aufglitt. Wir
traten in eine enge Zwischenkammer vor einer zweiten Tür, und die erste schloss
sich hinter uns.
So fühlte
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