Das Herz ihrer Tochter
gehen.
Warum?, hatte mein Vater gefragt.
Weil ich nicht glaube, dass es Gott
wirklich interessiert, ob ich jeden Freitagabend da sitze oder nicht. Weil ich
nicht an eine Religion glaube, die darauf basiert, was man nicht tun soll,
statt darauf, was man für das Wohl der Allgemeinheit tun soll. Weil ich nicht
weiß, was ich glaube.
Ich brachte es nicht übers Herz, ihm die
Wahrheit zu sagen: dass ich eher Atheistin als Agnostikerin war, dass ich an
der Existenz eines Gottes zweifelte. In meinem Metier hatte ich zu viel
Ungerechtigkeit auf der Welt gesehen, um mir einreden zu können, dass es eine
gnädige, allmächtige Gottheit gab, die solche Grausamkeiten trotzdem zuließ,
und ich hatte einen regelrechten Abscheu dagegen, mir ständig anhören zu
müssen, es gebe irgendeinen göttlichen Plan für die taumelnde Menschheit. Als
würde eine Mutter, die sieht, dass ihre Kinder mit Feuer spielen, sich einfach
denken: Na, sollen sie ruhig
verbrennen. Das wird ihnen eine Lehre sein.
Als ich noch zur Schule ging, fragte ich
meinen Vater einmal nach alten Religionen, die man heute als falsch
betrachtete. Zum Beispiel die Griechen und Römer mit ihren vielen Göttern, die
Opfer darbrachten und in Tempeln beteten, um ihre Gottheiten milde zu stimmen.
Heute würden gläubige Menschen darüber bloß spotten. Woher willst du wissen,
hatte ich meinen Vater gefragt, dass nicht vielleicht in fünfhundert Jahren
irgendeine fremde Herrenrasse Torarollen und Kruzifixe unter die Lupe nimmt und
sich fragt, wie ihr so naiv sein konntet?
Mein Vater, der Streitgespräche liebte,
war zunächst sprachlos gewesen. Weil, so hatte er schließlich gesagt, eine
Religion keine zweitausend Jahre Bestand hat, wenn sie auf einer Lüge basiert.
Ich sehe das so: Ich glaube nicht, dass
Religionen auf Lügen basieren, aber ich glaube auch nicht, dass sie auf
Wahrheiten basieren. Ich glaube, sie entstehen, weil die Menschen etwas
Bestimmtes brauchen. Wie der Profibaseballspieler, der seine Glückssocken
nicht ausziehen will, oder die Mutter des kranken Babys, die glaubt, es kann
nur schlafen, wenn sie an seinem Bettchen sitzt - Gläubige brauchen per
definitionem etwas, woran sie glauben können.
»Also, was hast du vor?«, fragte mein
Vater und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich blickte auf. »Ich werde ihn retten.«
»Dann bist du vielleicht der Messias«,
sinnierte er.
Meine Mutter setzte sich wieder zu uns,
warf sich zwei Tabletten in den Mund und schluckte sie trocken herunter. »Und
wenn er das ganze Theater bloß veranstaltet, damit jemand wie du aus der
Versenkung auftaucht und seine Hinrichtung verhindert?«
Tja, das hatte ich auch schon in Betracht
gezogen. »Es spielt keine Rolle, ob alles nur eine große Finte ist«, sagte ich.
»Hauptsache, das Gericht glaubt, dass es keine ist, dann ist das auf jeden
Fall ein Schlag gegen die Todesstrafe.« Ich stellte mir vor, wie ich im
Fernsehen von einem prominenten Moderator interviewt wurde, der mich
anschließend zum Essen einlud.
»Versprich mir, dass du nicht eine von
diesen Anwältinnen wirst, die sich in einen Kriminellen verlieben und ihn im
Gefängnis heiraten ...«
»Mom!«
»Na, so was kommt vor, Maggie. Verbrecher
können sehr überzeugend sein.«
»Und das weißt du aus
persönlicher Erfahrung?« Sie hob die Hände. »Ich mein ja bloß.«
Meine Mutter fing an, den Tisch
abzuräumen, und ich folgte ihr in die Küche. »Lass mich das hier allein fertig
machen«, sagte ich wie jede Woche. »Ihr kommt sonst noch zu spät zur Synagoge.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ohne deinen
Vater können sie nicht anfangen.« Ich reichte ihr eine tropfende
Servierschüssel, aber sie stellte sie auf die Ablage und musterte statt dessen
meine Fingernägel. »Sieh dir bloß deine Nägel an, Maggie.«
Ich zog die Hand weg. »Ich hab
Wichtigeres zu tun, als zur Maniküre zu gehen, Ma.«
»Es geht nicht um die Maniküre«, sagte
sie. »Es geht darum, sich fünfundvierzig Minuten Zeit zu nehmen, in denen das
Wichtigste auf der Welt nicht jemand anderer ist... sondern du selbst.«
So war das immer bei meiner Mutter: Wenn
ich gerade kurz davor war, ihr den Hals umzudrehen, sagte sie etwas, das mir
fast die Tränen in die Augen trieb. Ich wollte die Hände zu Fäusten ballen,
doch sie hielt meine Hände fest umschlungen. »Komm nächste Woche ins Studio.
Wir machen uns einen schönen Nachmittag, nur wir zwei.«
Ich hatte gleich eine ganze Reihe von
Erwiderungen auf der Zunge: Ich
muss meine
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