Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
es sich also an, eingesperrt zu
sein.
    Ehe ich in Panik geraten konnte, glitt
die innere Tür auf, und wir traten in einen weiteren Gang. »Waren Sie schon mal
hier?«, fragte der Direktor.
    »Nein.«
    »Man gewöhnt sich daran.«
    Ich sah mich um, betrachtete die Betonwände
und angerosteten Laufgänge. »Kann ich mir nicht vorstellen.«
    Wir traten durch eine weitere Stahltür
mit der Aufschrift BLOCK I. »Hier sitzen die ganz schweren Jungs«, sagte Coyne.
»Ich kann nicht versprechen, dass sie sich von ihrer besten Seite zeigen.«
    In der Mitte des Raumes war eine Art
Kontrollzentrum. Ein junger Aufseher saß vor einem Monitor, der den Trakt aus
der Vogelspektive zeigte. Es war ganz still. Vielleicht war die Tür, die
hineinführte, ja schalldicht.
    Ich ging zu der Tür und spähte durch ein
Fenster hinein. Ich sah eine leere Duschzelle und dahinter acht Zellen. Von den
Männern war nichts zu sehen, daher wusste ich nicht, welche Zelle Bourne
gehörte. »Das hier ist Father Michael«, sagte der Direktor zu dem Aufseher.
»Er möchte mit Häftling Bourne sprechen.« Er griff in einen Kasten und reichte
mir eine Schutzweste und eine Schutzbrille.
    »Ohne die richtige Ausrüstung können Sie
da nicht rein«, sagte der Direktor.
    »Ich soll da rein?«
    »Na, was dachten Sie denn? Dass Sie sich
mit Häftling Bourne bei Starbucks unterhalten?«
    Ich hatte eher an eine Art... Raum
gedacht. Oder die Kapelle. »Ich werde mit ihm allein sein? In einer Zelle?«
    »Um Gottes willen, nein«, sagte Direktor
Coyne. »Sie bleiben auf dem Laufgang vor der Zelle und unterhalten sich mit ihm
durch die Tür.«
    Ich holte tief Luft, zog mir die
Schutzweste über und setzte die Brille auf. Dann schickte ich ein Stoßgebet zum
Himmel und nickte.
    »Aufmachen«, sagte Direktor Coyne zu dem
Aufseher.
    »Ja, Sir«, erwiderte der junge Mann, sichtlich
nervös unter den Augen seines Chefs. Er sah auf das Bedienungsfeld vor sich,
ein Meer von Knöpfen und Lämpchen, und drückte einen auf der linken Seite,
merkte aber zu spät, dass es der falsche gewesen war. Die Türen von allen acht
Zellen öffneten sich gleichzeitig.
    »Ach du Scheiße«, sagte der Aufseher, die
Augen weit aufgerissen, als der Direktor auch schon zu ihm in die Kabine
stürzte und eine Reihe von Hebeln und Knöpfen betätigte.
    »Schaffen Sie ihn hier raus«, brüllte der
Direktor mit einer ruckartigen Kopfbewegung in meine Richtung. Dann ertönte
seine Stimme über die Lautsprecheranlage: »Achtung! Sofort Verstärkung nach Block I. Häftlinge frei.«
    Ich stand wie festgenagelt da, als die
Häftlinge aus ihren Zellen quollen wie wütende Hornissen. Und dann ... ja ...
dann brach die Hölle los.
     
    LUCIUS
     
    Als alle Türen gleichzeitig aufgingen,
als hätte ein Dirigent einem Orchester den Einsatz gegeben, sprang ich nicht
gleich nach draußen wie die anderen. Ich zauderte einen Moment, gelähmt durch
die Freiheit.
    Ich versteckte rasch das Bild, an dem ich
malte, unter der Matratze und stopfte die Farbe in ein Knäuel schmutziger
Wäsche. Ich hörte Direktor Coynes Stimme über die Lautsprecher Verstärkung
anfordern. Etwas Ähnliches war erst einmal passiert, vor meiner Zeit hier. Ein
neuer Aufseher hatte aus Versehen zwei Zellen gleichzeitig geöffnet. Einer der
beiden Häftlinge nutzte die unverhoffte Freiheit, um augenblicklich in die
Zelle des anderen zu stürzen und ihm den Schädel am Waschbecken einzuschlagen
- ein Racheakt zwischen rivalisierenden Gangs, der seit Jahren angekündigt
gewesen war.
    Crash war als Erster aus seiner Zelle. Er
rannte an meiner Zelle vorbei, in einer Faust eine selbst gebastelte Klinge,
schnurstracks auf Joey Kunz zu - ein Kinderschänder war für jeden Freiwild.
Pogie und Texas folgten ihm wie die Hündchen. »Schnappt ihn euch, Jungs«,
brüllte Crash. »Schneiden wir ihm das Ding ab.«
    Joey schrie, als er gepackt wurde.
»Hilfe, um Gottes willen, Hilfe!«
    Dann kam das Geräusch einer Faust, die
auf Fleisch trifft, und Calloway fluchte laut. Inzwischen war auch er in Joeys
Zelle.
    »Lucius?«, hörte ich eine gedämpfte und
langsame Stimme, als käme sie von unter Wasser, und mir fiel ein, dass Joey hier
nicht der Einzige war, der einem Kind etwas angetan hatte. Joey mochte Crashs
erstes Opfer sein, doch Shay war bestimmt als Nächster dran.
    Draußen vor dem Gefängnis gab es
Menschen, die zu Shay beteten. Im Fernsehen prophezeiten Evangelisten allen,
die einen falschen Messias verehrten, Hölle und Verdammnis. Ich wusste

Weitere Kostenlose Bücher