Das Herz ihrer Tochter
lassen, er will sterben. Und ja, ich kann mir
hundertmal sagen, wir hätten schließlich beide was davon - Shay kann zu seinen
Bedingungen sterben; ich schaffe es, dass die Todesstrafe wieder ins Blickfeld
der Öffentlichkeit gerät, vielleicht sogar vom Obersten Bundesgericht
abgeschafft wird -, aber Tatsache bleibt, dass Shay am Ende tot sein wird und
ich genauso schuldig sein werde wie der Gouverneur von New Hampshire, der den
Vollstreckungsbefehl unterschrieben hat. Vielleicht sollte ich versuchen, Shay
davon zu überzeugen, um eine Aufhebung des Urteils zu kämpfen, um sein Leben,
nicht um seinen Tod.«
»Ich glaube nicht, dass er das will«,
sagte mein Vater. »Du ermordest ihn nicht, Maggie. Du erfüllst seinen letzten
Wunsch - du hilfst ihm, für ein Unrecht, das er begangen hat, Wiedergutmachung
zu leisten.«
»Buße durch Organspende?«
»Eher so etwas wie Teschuva.«
Ich starrte ihn an.
»Ach ja«, sagte er grinsend. »Ganz
vergessen, die Post-Hebräische-Schule-Amnesie. Für Juden hat Buße mit deinem
Verhalten zu tun - du begreifst, dass du etwas falsch gemacht hast, du
beschließt, dein Verhalten in Zukunft zu ändern. Aber Teschuva bedeutet Umkehr. In jedem von uns
steckt ein göttlicher Funke - das, was uns eigentlich ausmacht. Dieser Funke
ist immer da, egal, ob du als Jude besonders fromm bist oder nur ganz wenig.
Sünde, Böses, Mord - all diese Dinge sind imstande, unser wahres Selbst zu
verschleiern. Teschuva bedeutet die Rückkehr zu dem Teil Gottes, der verborgen worden ist.
Wenn du Buße tust, bist du normalerweise traurig - wegen der Reue, die dich
dorthin gebracht hat. Aber wenn du über Teschuva sprichst, darüber, die Verbindung zu Gott
wiederherzustellen - na, dann macht dich das glücklich«, sagte mein Vater.
»Noch glücklicher, als du vor her warst, weil deine Sünden dich von Gott getrennt haben... und die
Liebe wächst nun mal mit der Entfernung, richtig?«
Er ging zu dem Babyfoto, das ich zurück
ins Regal gestellt hatte. »Ich weiß, Shay ist kein Jude, aber vielleicht steckt
ja hinter seinem Wunsch, zu sterben und sein Herz zu spenden, Teschuva. Dabei
geht es darum, nach etwas Göttlichem zu greifen - nach etwas jenseits der
Grenzen eines Körpers.« Er sah mich an. »Das ist übrigens die Antwort auf deine
Frage mit dem Foto. Du bist äußerlich ein anderer Mensch, als du es bei der
Aufnahme des Fotos warst, aber nicht innerlich. Nicht im Kern. Und dieser Teil von
dir ist nicht nur derselbe wie damals, als du sechs Monate alt warst... er ist
auch der Gleiche wie bei mir und deiner Mutter und Shay Bourne und allen
anderen Menschen auf dieser Welt. Es ist der Teil von uns, der mit Gott
verbunden ist; auf dieser Ebene sind wir alle identisch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Danke, aber
dadurch fühle ich mich eigentlich auch nicht besser. Ich will ihn retten,
Daddy, und er - er will sich absolut nicht retten lassen.«
»Rückerstattung, das ist einer der
Schritte, die ein Mensch für Teschuva machen muss«, sagte mein Vater. »Offenbar
hat Shay den Begriff ausgesprochen wörtlich genommen - er hat einem Kind das
Leben genommen; daher schuldet er der Mutter das Leben eines Kindes.«
»Die Gleichung geht nicht richtig auf«,
sagte ich. »Dafür müsste er Elizabeth Nealon zurückbringen.«
Mein Vater nickte. »Darüber reden Rabbis
seit dem Holocaust- wenn das Opfer tot ist, haben die Angehörigen dann
wirklich die Macht, dem Mörder zu vergeben? Die Opfer sind es schließlich, bei
denen er Wiedergutmachung leisten muss. Und die Opfer - sie sind Asche.«
Ich setzte mich auf und massierte mir die
Schläfen. »Das ist ganz schön kompliziert. Und ich weiß noch immer nicht, was
ich tun soll.«
»Tja«, sagte mein Vater, »vielleicht
solltest du einfach Shay fragen, was das Richtige ist.«
Ich blinzelte ihn an. Es war so einfach.
Ich hatte meinen Mandanten seit unserem ersten Treffen im Gefängnis nicht mehr
gesehen; die Vorbereitungen für das Täter-Opfer-Gespräch hatte ich am Telefon
regeln können. Vielleicht musste ich wirklich rausfinden, warum Shay so sicher
war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, damit ich es mir endlich
selbst erklären konnte.
Ich beugte mich vor und umarmte ihn.
»Danke, Daddy.“
»Ich hab doch gar nichts gemacht.«
»Doch, du bist ein besserer
Gesprächspartner als Oliver.“
»Lass das bloß nicht das Kaninchen
hören«, sagte er. Ich stand auf und ging zur Tür. »Ich ruf dich an. Ach ja,
übrigens«, sagte ich. »Mom ist wieder
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