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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gesagt, dass der
Termin heute ist«, erwiderte ich und ließ mich in einem der Sessel vor ihrem
Schreibtisch nieder.
    »Die zerdrückst die Kissen«, sagte meine
Mutter. »Und ich hab's dir wohl gesagt. Ich hab dich auf der Arbeit angerufen,
und du hast die ganze Zeit weitergetippt, wie immer, wenn ich anrufe, weil du
denkst, ich krieg das nicht mit. Und ich hab dir gesagt, ich muss unseren Lunch
auf Donnerstag verschieben, und du hast Ja gesagt und gemeint, du hättest viel
zu tun und ob ich dich unbedingt im Büro anrufen müsse?«
    Ich lief rot an. »Ich tippe nicht weiter,
wenn ich mit dir telefoniere.«
    Okay, ich tu's. Aber sie ist schließlich
meine Mutter. Und sie ruft aus den albernsten Gründen an: ob es mir recht sei,
wenn sie am Samstag, dem 16. Dezember, das Chanukka-Dinner macht, obwohl wir gerade erst März
haben? Ob ich mich an den Namen der Musiklehrerin meiner Grundschule erinnern
könne, da sie glaubt, sie neulich im Supermarkt gesehen zu haben? Und ich bin
gerade dabei, einen Schriftsatz aufzusetzen, mit dem das Leben eines Mannes
gerettet werden soll, der kurz vor der Hinrichtung steht!
    »Weißt du, Maggie, mir ist ja klar, dass
meine Arbeit längst nicht so wichtig ist wie deine, aber es verletzt mich schon,
dass du nicht mal richtig zuhörst, wenn ich mit dir telefoniere.« Tränen
traten ihr in die Augen. »Ich finde es unmöglich, dass du hier auftauchst und
mich aufregst, wo ich gleich einen Termin mit Alicia Goldman-Hirsch habe.«
    »Ich bin nicht hergekommen, um dich
aufzuregen! Ich bin hergekommen, weil ich jeden zweiten Dienstag im Monat herkomme!
Du kannst mir doch kein blödes Telefongespräch vorhalten, das wahrscheinlich
sechs Monate zurückliegt!«
    »Ein blödes Telefongespräch«, sagte meine
Mutter leise. »Na, gut zu wissen, was du wirklich von unserer Beziehung hältst,
Maggie.«
    Ich hob kapitulierend die Hände. »Ich hab
hier einfach keine Chance«, sagte ich. »Viel Erfolg bei deinem Termin.« Dann
stürmte ich aus dem Büro, vorbei an der weißen Empfangstheke mit dem weißen PC
und der Albino-Mitarbeiterin, hinaus auf den Parkplatz zu meinem Auto, wo ich
mir einzureden versuchte, dass ich nicht deshalb weinte, weil ich andere immer
nur enttäuschte, selbst wenn ich mir alle Mühe gab, es nicht zu tun.
    Mein Vater saß am Schreibtisch in seinem
Büro - in einem gemieteten Ladenlokal, da er ein Rabbi ohne Synagoge war - und
schrieb an seiner Sabbat-Predigt. Als er mich hereinkommen sah, lächelte er,
bat dann mit einem erhobenen Finger um einen Augenblick Zeit, damit er noch
rasch irgendeinen genialen Gedanken zu Ende formulieren konnte. Ich
schlenderte umher, fuhr mit den Fingern über die Rücken von Büchern auf
Hebräisch und Griechisch, Alten und Neuen Testamenten, Büchern über Theurgie
und Theologie und Philosophie. Ich schloss die Hand um einen alten
Briefbeschwerer, den ich für ihn als Kind gebastelt hatte - ein Stein, den ich
so bemalt hatte, dass er wie ein Krebs aussah, obwohl er inzwischen eher einer
Amöbe ähnelte -, und nahm dann ein Babyfoto von mir in einem Rahmen von einem
Regal.
    Schon damals hatte ich Pausbacken.
    Mein Vater klappte seinen Laptop zu. »Wem
oder was habe ich deinen überraschenden Besuch zu verdanken?«
    Ich stellte das Foto zurück auf das
Mahagoniregal. »Hast du dich schon mal gefragt, ob der Mensch, den du auf so
einem Foto von dir siehst, derselbe ist wie der, den du im Spiegel erblickst?«
    Er lachte. »Das ist die uralte Frage,
nicht? Werden wir als der geboren, der wir sind, oder machen wir uns selbst
dazu?« Er stand auf, kam zu mir und gab mir einen Kuß auf die Wange. »Bist du
hier, um mit deinem alten Herrn über Philosophie zu diskutieren?«
    »Nein, ich bin hier, weil... ich weiß
nicht, warum ich hier bin.« Das war die Wahrheit. Mein Auto war irgendwie
einfach in die Richtung seines Büros gefahren, ich hatte den Kurs nicht korrigiert.
Alle anderen kamen zu meinem Vater, wenn sie Kummer hatten oder einen Rat
brauchten, warum dann nicht auch ich? Ich ließ mich auf die alte Ledercouch
plumpsen, die er schon so lange hatte, wie ich denken konnte. »Glaubst du, Gott
vergibt Mördern?«
    Mein Vater setzte sich neben mich. »Ist
dein Mandant nicht katholisch?«
    »Ich hab von mir gesprochen.«
    »Du liebe Zeit, Mags. Hoffentlich hast du
die Tatwaffe verschwinden lassen.«
    Ich seufzte. »Daddy, ich weiß nicht, was
ich tun soll. Shay Bourne will sich nicht zum Aushängeschild für den Kampf
gegen die Todesstrafe machen

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