Das Herz ihrer Tochter
Reihe zu kommen, hieß es, dass Alma uns beiden Blut abnehmen
würde. Es wurde jeder getestet, der im Gefängnis mit dem Blut eines anderen
Insassen in Berührung gekommen war, aber diese Regel galt offenbar auch für das
Blut von Aufseher Smythe. Shay wurde als Erster in Hand- und Fußschellen zu
einem Raum außerhalb von Block I gebracht, wo Alma wartete.
Unterdessen rutschte Pogie in der Dusche
aus. Er lag da und klagte über Schmerzen im Rücken. Zwei weitere Aufseher
brachten das Rückenbrett und fesselten Pogie mit Handschellen daran, dann
hievten sie ihn auf eine Rolltrage, um ihn in die Krankenstation zu transportieren.
Aber weil sie sich mit den Gepflogenheiten in Block I noch nicht auskannten und
Aufseher immer hinter uns gehen sollen, nicht vor uns, sahen sie nicht, dass
Shay genau in dem Moment zurückgebracht wurde, als Pogie auf dem Weg nach
draußen war.
Im Gefängnis ereignen sich Tragödien in
Sekundenschnelle; Pogie brauchte nur eine Sekunde, um sich mit dem Handschellenschlüssel
zu befreien, den er versteckt hatte, von der Trage zu springen, das Rückenbrett
zu packen und es Shay mit voller Wucht auf den Kopf zu schlagen, sodass er mit
dem Gesicht voran gegen die Mauer flog.
»Weiße Macht!«, brüllte Pogie, und mir
war augenblicklich klar, dass es Crash selbst aus der Isolationshaft heraus
gelungen war, einen Racheakt gegen Shay anzuzetteln, weil der ihn verpfiffen
und den Aufsehern sein Spritzbesteck zugespielt hatte. Sullys Attacke auf
Smythe war lediglich ein Kollateralschaden gewesen, damit das Personal in Block
I ausgetauscht wurde, was die Voraussetzung für Teil zwei des Planes gewesen
war. Und Pogie - der sich noch bewähren musste - hatte die Gelegenheit beim
Schopf ergriffen und einen Mordauftrag der Aryan Brotherhood durchgeführt.
Sechs Stunden nach diesem Debakel wurde
auch ich endlich zur Blutabnahme gebracht. Alma, die in dem Raum auf mich
wartete, war noch sichtlich mitgenommen von dem schrecklichen Geschehen,
obwohl sie mir nicht mehr verraten wollte, als dass Shay ins Krankenhaus
eingeliefert worden war.
Als ich auf dem Boden etwas Silbernes
aufblitzen sah, wartete ich, bis Alma die Nadel wieder aus meinem Arm gezogen
hatte. Dann senkte ich den Kopf zwischen die Knie.
»Alles in Ordnung, Lucius?«, fragte Alma.
»Mir ist bloß ein bisschen schwindelig.«
Ich ließ die Finger über den Boden gleiten.
Wenn Zauberer die größte Fingerfertigkeit
besitzen, dann sollten Gefängnisinsassen ihnen darin in nichts nachstehen.
Wieder zurück in der Zelle, holte ich meine Beute aus dem losen Saum meines
Overalls hervor, wo ich sie versteckt hatte. Pogies Handschellenschlüssel war
winzig und glänzend, aus der Verschlussklammer einer Versandtasche gebastelt.
Ich kroch unter mein Bett und zog den
Mauerstein heraus, hinter dem sich meine Kostbarkeiten verbargen. Ein kleiner
Pappkarton enthielt meine Farbfläschchen und meine Q-Tip-Pinsel. Ich sammelte
auch Süßigkeiten, um neue Pigmente zu gewinnen, wenn mein Vorrat zur Neige ging
- eine halb leere Packung M 8c Ms, eine Rolle Drops, ein paar einzelne Maoams.
Ich packte eines von den Maoams aus und knetete das Rechteck so lange mit den
Daumen, bis es geschmeidig wurde. Dann drückte ich den Handschellenschlüssel
tief hinein und formte erneut ein ordentliches Rechteck, das ich wieder in das
ursprüngliche Papierchen einpackte.
Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, von
einem Vorfall zu profitieren, durch den Shay so schwer verletzt worden war,
aber ich war nun mal Realist. Wenn Shay seine neun Leben verbraucht hatte und
ich allein zurückblieb, würde ich jede Hilfe brauchen, die ich kriegen konnte.
MAGGIE
Selbst wenn mir niemand im Krankenhaus
Auskunft gegeben hätte, Shay Bourne wäre nicht schwer zu finden gewesen: Er war
der einzige Patient mit bewaffneten Wachen vor der Tür. Ich warf einen Blick
auf die Aufseher und wandte mich dann der Stationsschwester zu. »Wie geht es
ihm? Was ist passiert?«
Father Michael hatte mich nach dem
Angriff auf Smythe angerufen und mir gesagt, dass Shay, der während der Sache
in seiner Zelle gewesen war, nicht verletzt worden war. Doch danach musste
irgend etwas dramatisch schiefgelaufen sein. Ich hatte jetzt schon mehrmals
versucht, den Priester zu erreichen, aber er ging einfach nicht an sein Handy -
ich vermutete, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus war, dass man auch ihn
verständigt hatte.
Wenn Shay nicht auf der Krankenstation im
Gefängnis behandelt wurde, dann musste er
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