Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
Vom Netzwerk:
toben.
    »Komm mal her«, sagte Biff freundlich. »Dein Freund ist weg.«
    Der Kerl sah sich immer noch nach Singer um. So betrunken wie jetzt schien er noch nie gewesen zu sein. Er sah fürchterlich aus.
    »Ich hab da was für dich«, lockte Biff. »Kann ich dich mal ’ne Minute sprechen?«
    Blount rappelte sich hoch und torkelte mit großen Schritten aus dem Lokal.
    Biff lehnte sich an die Wand. Rein, raus – rein, raus. Na, ihm konnte es ja egal sein. Der Raum war leer und still. Die Minuten wurden immer länger. Müde ließ er den Kopf vornübersinken. Allmählich schien jede Bewegung aus dem Raum zu weichen. Die Theke, die Gesichter, die Nischen und die Tische, das Radio in der Ecke, die surrenden Ventilatoren an der Decke – alles schien ganz leise und ruhig zu werden.
    Er musste eingenickt sein. Eine Hand zog an seinem Ellenbogen. Langsam kam er wieder zu sich und hob den Kopf, um zu sehen, was los war. Vor ihm stand Willie, der farbige Küchenjunge, mit seiner Kochmütze und in seiner langen weißen Schürze. Vor lauter Aufregung über das, was er sagen wollte, stotterte er.
    »Und dann hat er immer mit den F-F-Fäusten so gegen die Mauer da g-g-gedroschen.«
    »Was ist los?«
    »Gleich da auf der Straße, z-z-zwei Häuser weiter.«
    Biff zog die Schultern hoch und rückte sichden Schlips zurecht. »Was?«
    »Und sie wollen ihn hier reinbringen, und sie können jede Minute hier sein…«
    »Willie«, sagte Biff geduldig, »nun erzähl mal von Anfang an und richtig der Reihe nach.«
    »Hier, der kleine weiße Herr mit dem Sch- Schnurrbart.«
    »Mr.   Blount. Ja.«
    »Also – ich hab nicht gesehen, wie’s losging. Ich steh an der Hintertür, und auf einmal hör ich Krach da. Klang wie ’ne Riesenprügelei auf der Straße. Ich also hingerannt und g-g-geguckt. Und da hat doch der weiße Herr ’ne Sauwut. Immer mit dem Kopf gegen die Mauer gebumst und mit den Fäusten. Und geflucht und geschlagen – noch nie hab ich das bei ’nem Weißen gesehn. Immer gegen die Mauer da. Hätt sich auch den Kopf einschlagen können, so wie das geklungen hat. Dann sind zwei weiße Männer gekommen, wegen dem Krach, und haben zugeguckt…«
    »Ja – und?«
    »Also – Sie wissen, hier der stumme Herr – Hände in Taschen – der hier…«
    »Mr.   Singer.«
    »Ja, also der kommt vorbei und steht so rum und will wissen, was da los ist. Und Mr.   B-B-Blount sieht ihn und fängt an zu reden und zu schreien. Und auf einmal fällt er hin auf die Erde. Kann sein, er hat sich wirklich den Kopf eingeschlagen. Ein P-P-Polizist kommt vorbei, und jemand sagt zu dem, Mr.   Blount wohnt hier.«
    Biff senkte den Kopf und versuchte sich einen Reim aus der Geschichte zu machen. Er rieb sich die Nase und dachte eine Weile nach.
    »Jede Minute können sie hier sein.« Willie lief zur Tür und spähte die Straße hinunter. »Da kommen sie. Sie müssen ihn schleppen.«
    Ein ganzes Dutzend Schaulustige und ein Polizist versuchten sich gleichzeitig in das Lokal zu drängen. Zwei Huren sahen zum Fenster herein. Komisch, wie viele Leute immer von wer weiß woher zusammenkamen, wenn etwas Ungewöhnliches geschah.
    »Was für ein Aufstand!«, sagte Biff zu dem Polizisten, der den Betrunkenen stützte. »Die andern können ruhig wieder gehen.«
    Der Polizist setzte den Betrunkenen auf einen Stuhl und scheuchte die kleine Schar wieder auf die Straße. Dann wandte er sich an Biff: »Jemand sagte, der wohnt hier bei Ihnen.«
    »Nein. Wär aber gut möglich«, sagte Biff.
    »Soll ich ihn mitnehmen?«
    Biff überlegte. »Der macht heute keinen Ärger mehr. Natürlich kann ich keine Verantwortung übernehmen – aber der wird schon ruhig bleiben.«
    »In Ordnung. Ich komm noch mal vorbei, bevor ich Feierabend mache.«
    Biff, Singer und Jake Blount blieben allein zurück. Zum ersten Mal, seit sie ihn hereingebracht hatten, sah Biff sich den Betrunkenen genauer an. Blount schien am Kinn verletzt zu sein. Er saß, die große Hand vor dem Mund, zusammengesackt an einem Tisch und schwankte hin und her. Aus einer klaffenden Kopfwunde rann ihm Blut über die Schläfe. Seine Handgelenke waren verschrammt, und er war so verdreckt, als hätte man ihn am Kragen aus einer Kloake gezogen. Er war vollkommen ausgelaugt. Der Taubstumme saß ihm gegenüber und verfolgte alles mit seinen grauen Augen.
    Dann merkte Biff, dass Blount gar keine Wunde am Kinn hatte; er bedeckte den Mund, weil seine Lippen zitterten. Tränen rollten über sein verschmiertes Gesicht. Hin

Weitere Kostenlose Bücher