Das Herz ist eine miese Gegend
auf einen Studienplatz in Medizin wartete, war Giovanni natürlich gestiegen. Nur Norbert wußte nichts von seiner Verbindung zum fortschrittlichen Ohlenburg, denn er hatte Lauras Nachnamen vergessen. Überhaupt, mit so unwichtigen Dingen wie der Freundin seines kleinen Bruders pflegte er sich nicht abzugeben. Schließlich mußten all diese unterdrückten Massen von Hand emanzipiert werden. Von Norberts Hand hauptsächlich.
Laura kam mit, und sie beeilten sich, denn die Frage, was die »traurige Nachricht« sein könnte, spukte ihnen beiden im Kopf herum.
»Deine Katze ist tot«, sagte Arno beim Öffnen der Tür. »Tag, Laura, wieder zu Hause?«
Giovanni ging in den Keller, wo Freddie in einen Karton gebettet lag und aussah, als schlafe er bloß. Er streichelte den Hals und spürte Tränen in sich aufsteigen. Freddies Haare waren so weich wie eh und schienen plötzlich nicht mehr zum Körper, der steifwar, zu passen. Ganz fremd, wie ein Relikt aus dem Leben, fügten sie sich den Fingerspitzen, deren vergebliche Zärtlichkeit noch allenfalls ihn selber trösten konnte.
Laura legte von hinten die Arme um ihn und schmiegte ihre Wange an seine. »Unser Freund«, sagte sie leise. Giovanni schluckte und streichelte ihren Arm. Dann stand er auf und holte einen Spaten.
»Wir suchen ihm einen schönen Platz«, sagte er und ging hinauf zum Garten.
»Wart auf mich, wenn du fertig bist«, sagte Laura und rannte los. »Ich hol nur noch was für ihn.«
Freddies Lieblingsplatz im Garten war unter einem Forsythienbusch gewesen. Dort hatte er stundenlang geschlafen, wenn Giovanni nicht da war. Um die Wurzeln der Forsythie nicht zu beschädigen, grub Giovanni in einigem Abstand, aber doch so nah, daß es Freddie gefiele, ein tiefes Loch. Er holte den Karton, stellte ihn ans Grab und setzte sich daneben, um von seinem Freund Abschied zu nehmen. In der Küche hatte er Thymian und Salbei geholt und um den verlorenen kleinen Katzenkörper gestreut. »Damit es riecht wie zu Hause«, sagte er. Laura kam zurück mit dem Rosenstrauß in der Hand. Sie legte die Blumen einzeln um Freddie und sagte »Von uns«, und Giovanni hob den Karton in die Versenkung. Bevor er die erste Schaufel Erde darauf streute, sagte er noch: »Benimm dich anständig im Katzenhimmel, hörst du? Nies den andern nicht ins Gesicht.«
Die Post, die für ihn dalag, war ein Musterungsbescheid. Gemessen an Freddies Tod war der unwichtig. Sie gingen in den Wald, um ungestört an Freddie zu denken. Sie gingen schweigend und hielten sich an der Hand.
»Darf ich dich um was bitten?« fragte Laura in dieser Nacht. Ihre Stimme klang noch so ernst, wie sie beide den ganzen Tag über gewesen waren. Als sie keine Tränen mehr gehabt hatten, waren sie nach Hause gegangen, wo Laura für sie kochte. Mäuseragout, wie sie sagte, zu Ehren von Freddie, aber es waren natürlich nur Spaghetti mit Soße.
»Was denn?«
»Die Geschichte, die du mir schreibst. Ich wollte ... also, es wäre gut, wenn das nicht gerade die Geschichte eines jungen Mannes ist, der ein Jahr lang ohne seine Freundin lebt und die gesamte Weiberwelt durchhechelt.«
Giovanni schwieg betreten.
»Verstehst du das?«
»Ja, versteh ich«, sagte er und war ihr dankbar für diesen feinen Umweg, auf dem sie ihm beibrachte, daß sie nichts von irgendwelchen Abenteuern wissen wollte.
Er schlug ihr statt dessen eine Geschichte vor, in der ein Mädchen von seinem Freund getrennt lebt und sich einen Muskelmann nach dem andern gönnt, und wie toll sie das findet, und all diese Kerle sind so schön und so klug, und ihr Freund macht keinen Stich gegen sie, und sie möge das Wort Stich ob seiner Doppeldeutigkeit jetzt bitte nicht auf die Goldwaage ...
»Hör auf, du Blödkopf«, sagte sie und zwickte ihn kräftig in die Seite. »Diese Story entbehrt jeder Grundlage, langweilt und ist so was von gar nicht aus dem Leben gegriffen, daß du dich damit nur blamieren kannst, kapiert?«
»Kapiert«, sagte er, ein zweites Mal erleichtert über die Eleganz, mit der sie Schattenbilder aus seinem Hirn verjagte, noch bevor die sich dort hatten einnisten können.
»Findest du uns nicht ein bißchen zu raffiniert?« fragte er.
»Nein«, sagte sie, »ich finde uns eigentlich gerade ziemlich süß. Ein bißchen feig vielleicht, aber süß.«
In einer Buchhandlung studierte er ein Katzenbuch und schämte sich zutiefst, als er feststellte, daß Katzenschnupfen ebenso häufig wie gefährlich ist und Freddie nicht hätte sterben müssen,
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