Das Herz ist eine miese Gegend
Dreck am Stecken, also behalten wir ihn im Auge. Irgendwann wird er sich schon mit seinen Leuten in Verbindung setzen.«
»Auweia.« Giovanni sah die Zwickmühle, in der sich Paul befand.
»Siehst du den Wahnsinn, der da drin steckt?« fragte Paul. »Was immer ich tue, wird verdächtig sein. Oder brauchbar. Ich bin Freiwild. Wer auch immer Lust dazu hat, kann irgendwas mit mir anfangen.«
»Und was tust du jetzt?«
Paul schleuderte den Schlauch ins Becken und ging zum Wasserhahn, um ihn abzudrehen. »Im Augenblick versuche ich erst mal, einen klaren Kopf zu bekommen«, sagte er mutlos. »Ich muß meine Wut von meinen Gedanken unterscheiden. Am liebsten würde ich den Rektor und Herrn Kunolt zusammen in die Luft sprengen.«
»Hoppla«, sagte Giovanni.
»Ja, ja, ich weiß.« Jetzt lächelte Paul zum ersten Mal. »So funktioniert die Rekrutierung. Wie wär’s, wenn ich erst mal mein Schwimmbad sprenge?«
»Macht zuviel Krach«, grinste Giovanni, erleichtert, daß Pauls Humor wiederkam. »Kannst du dir derzeit nicht leisten. Wer weiß, ob du nicht ein kostbares, hochempfindliches Richtmikrofon kaputtmachst. Ich meine, wenn du hier so laute Dinger drehst.«
»Aber irgendwas würd ich schon gern sprengen. Das bin ich meiner Magenschleimhaut schuldig.«
»Wie wär’s mit dem Rasen?«
»Oder mit dir?« Paul zog am Schlauch, bis er die Spitze in den Händen hielt, zielte mit ihr auf Giovannis Bauch und ging langsam rückwärts zum Wasserhahn.
Giovanni hielt die Hände über den Kopf und schrie: »Nein, bitte, Hilfe, ich bin unschuldig. Ich kann für gar nichts was!«
Paul lachte, ließ den Schlauch fallen und sagte: »Komm, wir feiern jetzt dein Abitur und meinen neuen Status als Privatgelehrter.« Er ging in die Küche und stöberte im Schrank. »Ist nichts da«, murmelte er und nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. »Geht das?«
»Nein, für mich nicht, bitte.«
»Ach, dann laß ich’s auch«, sagte Paul, stellte die Flasche zurück, holte statt dessen zwei Sektgläser aus dem Schrank und füllte sie halb mit Leitungswasser. »Hier.« Er reichte Giovanni das vollere Glas. »Auf unser neues Leben. Schade, daß unsere Liebste nicht da ist. Oder vielleicht grad gut. Prost.«
Sie stießen an und tranken.
Alles wird jetzt anders, dachte Giovanni abends auf dem Klassenfest. Er stand die meiste Zeit in einer Ecke, lauschte der Musik und gehörte schon nicht mehr hierher. Das ist jetzt schon das erste Klassentreffen, dachte er, sie fallen jetzt alle in ihre Welt, jeder in eine andere. Aber ich falle nicht, ich warte. Ich stehe da, wie das Kind im Sterntaler-Märchen, halte meine Schürze ausgebreitet und warte darauf, daß Laura endlich wieder hineinfällt.
Dann fallen wir gemeinsam weiter. Er blieb die ganze Nacht und schmuggelte seine Lieblingsplatten immer wieder oben auf den Stapel des Diskjockeys.
Und jetzt brauch ich ein eigenes Zimmer, dachte er, als er durch den strahlenden Morgen nach Hause ging. Ein Zimmer mit einem Tisch für den Blumenstrauß, den ich zu Lauras Begrüßung kaufe.
Zu Hause legte sich Freddie auf seine Brust, schnurrte, kniff die Augen zu und nieste ihm kräftig ins Gesicht. »Gesundheit«, sagte Giovanni und schlief ein.
ZWANZIG
Südvietnam schickte sich an, von der Landkarte zu gehen, beziehungsweise es wurde angeschickt. Die Amerikaner gaben ihr Bestes, eine Menge Bomben nämlich, damit der Vietcong das eroberte Gebiet verwüstet vorfände. Eine Sache, die manfar outfand, nannte man »genehmigt«.
In dem Zimmer hatte ein Tisch so gerade eben Platz. Es gab ein Bett und einen meterbreiten Streifen Boden, auf dem man aufrecht stehen konnte. Strom kam aus einem Zähler im Flur, nachdem man eine Mark eingeworfen hatte. Die Mark war verbraucht, wenn das Licht erlosch und der Plattenspieler Würgelaute von sich gab. Die Würgelaute waren ein heimatliches Geräusch, und für Giovanni war es ein Fortschritt, nur mehr eine Mark investieren zu müssen, statt stundenlanger Gartenarbeit.
Neben dem Zähler war das Waschbecken, das noch von zwei Nachbarn mitbenutzt wurde. Die fünfundsiebzig Mark Miete entsprächen dem Jugendherbergspreis, hatte der Vermieter gesagt, bevor er sich eilig, nach Unterzeichnung des Vertrags, zum Lago Maggiore aufmachte. Um dort nach seinem Boot zu sehen.
Giovanni stellte seine kleine Schreibmaschine und eine von der Mutter geklaute Blumenvase auf den Tisch und beschloß, etwas zu schreiben, bis Laura endlich käme. Eine Geschichte für sie als
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