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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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mieteten, wo sie auf eigene Kosten Bälle veranstalteten. Sie spielten die aktuelle Hitparade rauf und runter und wagten sich nie in größere Städte, denn dafür waren sie zu schlecht. Aber sie hatten ihre treuen Fans im ganzen Umland. Fans, die ihnen nachreisten, ihre selbstproduzierten Schallplatten kauften oder sich, wie der Hilfsmanager, zu jedem Handlangerdienst abkommandieren ließen.
    Giovanni hörte sich den Auftritt geduldig an. Die meisten Songs verursachten einen Würgereiz in ihm. Es war schauerlich. Die klangen so, wie ihr Publikum aussah. Doof.
    Aber er würde mindestens zwölfhundert Mark verdienen. Er war entschlossen zuzusagen, falls ihn die Royals wollten. Egal, wie mies die Musik war.
    In der Pause ging er vor die Tür und ließ den Wirbel der zurechtgemachten Mädchen, deren Parfüms sich miteinander und den verschiedenen Schweißgerüchen mischten, und der betont lässigen Jungs, die ihre filterlosen Zigaretten rauchten wie Charles Bronson oder Steve McQueen, an sich vorbei geschehen. Er fühlte sich unwohl und hatte Angst, gleich aus heiterem Himmel eine Faust auf die Nase zu kriegen. Einfach so. Weil es eben in der Luft lag. Weil seine Haare zu lang waren. Oder weil er nicht die vorgeschriebenen Jeansklamotten trug.
    Ein Pulk von vier Jungs ging extra dicht an einem Mädchen mit rotem Lederrock vorbei. So dicht, daß einer der Jungs das Mädchen scheinbar zufällig mit dem Ellbogen in die Brust stieß.
    »Stark«, sagte das Mädchen abfällig. »Echt stark.«
    Der Junge drehte sich um zu ihr und sagte, so laut, daß es meterweit zu hören war: »Ich reiß dir gleich den Votzknochen raus.«
    Giovanni wurde schlecht, und er suchte seinen Chauffeur, den Hilfsmanager, erklärte ihm, daß er sofort nach Hause müsse, und der stolze, dickliche Junge ging bereitwillig voraus zum Parkplatz.
    Die Zeit hatte kaum für den Gedanken gereicht, daß My Lai, Drittes Reich, Schlachthöfe und Söldnerheere von genau diesen Typen lebten, daß genau solche Leute es gewesen sein mußten, die in dem Film »Das Wiegenlied vom Totschlag« lachten und sich an die Stelle der Soldaten wünschten, daß genau solche Leute, egal für wieviel Geld, nicht das Publikum sein würden, für das er zu spielen bereit war, daß er genau solchen Leuten nicht mehr freiwillig zu begegnen wünschte, als der Hilfsmanager zwei Dörfer weiter den Käfer aufs Dach legte.
    »Bist du okay?« fragte Giovanni nach einiger Zeit, die er gebraucht hatte, um zu begreifen, was passiert war. Sie hingen falsch herum in den Sitzen, die Köpfe auf der Straße und die Knie überm Kinn.
    »Raus hier«, war das einzige, was der andere sagte, und sie beeilten sich, aus der Falle zu krabbeln. Der Käfer lag mitten auf der Straße. Wer jetzt um die Kurve käme, würde direkt hineinrasen. Sie rollten das Wrack an die Seite. Das Dach war eingedrückt und die Hinterachse offenbar gebrochen, denn die Räder standen X-beinig nach außen. Drei Kotflügel waren im Eimer, und die Fahrertür glich einem großen Salatblatt. Überhaupt sah das ganze Auto aus, als brauche Ilse nur noch Goldbronze, um ein Kunstwerk daraus zu machen.
    »Ich dachte, du könntest Auto fahren«, sagte Giovanni und tastete seinen verschrammten Unterarm ab. Der andere sagte nichts, gab dem Käfer einen Tritt und ging los in Richtung Stadt. Als sie sich nach einem langen, wortlosen Fußmarsch durch die Nacht trennten, sagte Giovanni noch: »Die Karre verschrottest du. Ich hab sie dir eben geschenkt.«

 
DREIUNDZWANZIG
    Wenn ein Mensch jung war und man glaubte, er habe einen guten Kern, dann nannte man ihn »Weltverbesserer« oder »Idealist«. Ein Außenseiter, der wie Tausende anderer Außenseiter Sozialpädagogik studierte oder auf eine Sozialarbeiterschule ging, um anderen Außenseitern zu helfen, hatte aufjeden Fall einen guten Kern und war ein Weltverbesserer. Eine Sache, die man gebongtfand, nannte man »stark«. »Stark« war zum Beispiel, daß Willy Brandt strahlte, weil die SPD stärkste Partei wurde.
     
    Ilse kam zurück aus Berlin, stellte sich dem Kreiswehrersatzamt, reichte seine Verweigerung ein, kam bei der dritten Verhandlung durch und leistete Zivildienst beim Roten Kreuz. Der Zivildienst hieß damals noch Ersatzdienst.

 
VIERUNDZWANZIG
    Als die spanischen Gastarbeiter von den griechischen abgelöst wurden, machten sie ihre Restaurants nicht in Deutschland auf, sondern zu Hause. Das Originelle daran war, daß sie dort nicht spanisch kochten, sondern deutsch. Schlau von

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