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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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während sie wartete, Giovanni nicht aus den Augen und hüpfte von einem Bein aufs andere, als müsse sie aufs Klo. Endlich war sie durch und konnte ihn umarmen, und sie standen beide so, einander spürend, riechend und Worte wie »Ja, genau«, »Stimmt« oder »Ach, du bist das« ins Ohr flüsternd, bis Paul mit dem Gepäck herausgekommen war. Er ließ den Wagen ein Stückchen allein weiterrollen und umarmte alle beide, als wären sie aus einem Stück.
    Auf der Bahnfahrt hielten sie einander an den Händen. Paul sah ihnen an, daß sie am liebsten miteinander in den Gepäckwagen verschwunden wären, und sagte lächelnd: »So viel Charakter müßt ihr jetzt noch aufbringen, Kinder.«
    »Stöhn«, antwortete Giovanni.
    »Seufz«, sagte Laura hinterher.
    »Und ächz«, lachte Paul. »Das Leben ist hart.«
    »Bist du sauer, wenn deine Liebste mit zu mir kommt?« fragte Giovanni, als der Zug in den Bahnhof rollte.
    »Wärst du denn sauer, wenn deine Liebste mit zu mir käme?«.
    »Ja.«
    »Also, bevor ihr auf den lachenden Dritten wartet, laßt mich entscheiden«, sagte Laura und nahm ihren Vater am Arm. »Pauli, du bist doch schon erwachsen. Du kannst doch so eine Frustration viel besser wegstecken als Giovanni, der noch nicht mal Professor ist.«
    Paul lachte: »Ich bin nicht mehr Professor, ich bin jetzt Märtyrer. Deshalb bin ich auch über so was Säkulares wie Besitzdenken erhaben und laß euch in Giovannis mickrige Bude. Und ich bring auch dein Gepäck in die großzügig ausgestattete Villa, die ihr verschmäht.«
    Sie halfen ihm, die Koffer in ein Taxi zu packen, Laura küßte ihn, und Giovanni streichelte seinen Oberarm.
    »Bis morgen«, sagten sie und gingen eng umarmt durch die Unterführung zur Stadt.
    Am Stift mußten sie ohnehin vorbei, und Giovanni zeigte Laura die Schrift auf der Mauer. »Das macht ihn krank«, sagte sie nur.
    Er warf eine Mark in den Zähler und öffnete stolz die Tür. Stolz nicht auf die Beschaffenheit des Zimmers, sondern darauf, daß er eines hatte. Und stolz auf den Gutschein und die Rosen.
    »Och, wie schön«, sagte Laura, »dabei bist du mir doch Blumen und Geschichte genug.«
    Sie warfen ihre Kleider auf einen Haufen in der einzigen freien Ecke der Zelle und fielen ineinander mit all der Erwartung, die ein Jahr Sehnsucht in ihnen hatte wachsen lassen.
    »Weiß du was?« sagte Laura später, als sie, so entspannt es das winzige Bett zuließ, nebeneinander lagen.
    »Du sagst es doch gleich«, antwortete Giovanni schläfrig.
    »Stimmt. Ich sage, mir wär jetzt erstens nach einem Spaziergang zumute und zweitens nach meinem Bett in der großzügig ausgestatteten Villa, die wir verschmäht haben. In mein Bett passen wir auch rein, wenn wir beide auf dem Rücken liegen. Was meinst du?«
    »Ja, Spaziergang, o ja«, gähnte Giovanni, »aber Blumenstrauß muß mit.«
    »Also komm.« Sie nahm ihr Sweatshirt von der Tischlampe, und das helle Licht weckte ihn vollends auf. Sie trug den Blumenstrauß und er ihre Tasche, als sie durch die warme Sommernacht zur Landhausstraße gingen. Sie kletterten über den Zaun des Botanischen Gartens und nahmen jeden hübschen Umweg.
    »Pauli!« rief Laura halblaut vor der Tür, und als er gleich darauf öffnete, fragte sie: »Ist das nicht salomonisch?«
    »Kommt rein, Kinder«, sagte er froh. »Wir feiern, daß wir uns wiederhaben.«
    Sie saßen im Garten, tranken Rotwein und hörten einer Grille zu. Später, als Paul zu Bett gegangen war, schwammen sie leise nackt im lauen Pool, und als sie davon genug hatten, nahmen sie einfach ihre Kleiderbündel unter die Arme und tapsten mit nassen Füßen hinauf zu Lauras Zimmer.
    Am nächsten Morgen sagte Paul, Giovannis Mutter habe angerufen, er solle bitte nach Hause kommen. Es gäbe Post und eine traurige Nachricht. Das mußte sie Überwindung gekostet haben, denn seit Pauls anrüchiger Popularität hatte sein Name für sie an Glanz verloren: »Es ist ja ein wirklich netter Mann«, hatte sie vor einiger Zeit gesagt und danach beredt geschwiegen, um die vielstimmigen Abers ausgiebig im Raum schwingen zu lassen. Sicher befürchtete sie, ihr Sohn könnte »in irgend etwas hineingezogen« werden, und hatte keine Ahnung, wie tief er schon dringesteckt hatte. Jedenfalls war Paul aus der Spießergesellschaft verbannt und taugte nicht mehr zum Angeben. Arme Mami, dachte Giovanni. Ist abgestiegen, pflegt Umgang mit dem Sympathisantensumpf. In der Achtung Arnos, der mittlerweile Taxi fuhr und schon seit eineinhalb Jahren

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