Das Herz ist eine miese Gegend
wenn er ihn zum Tierarzt gebracht hätte. Ich hab dich umgebracht, dachte er, aus Dummheit.
ZWEIUNDZWANZIG
Die Beatles spielten noch immer nicht wieder zusammen. Barzel mißtraute Brandt, behauptete er jedenfalls. Dabei schwamm Brandt auf einer Woge der Sympathie, denn er hatte die Lebensqualität erfunden. Mark Spitz schwamm schneller und für mehr Geld, und München schwamm im Blut von elf israelischen Sportlern.
Überraschend wie immer stand Bo eines Donnerstags vor der Tür. Mit Haaren. Er küßte die skeptische Laura auf die Wange und sagte: »Es gibt jetzt Wichtigeres, als meine Stilfehler zu beklagen.«
»Ach, Stilfehler nennst du so was?« sagte Laura, aber man hörte ihrer Stimme an, daß sie nicht mehr böse war.
Bo holte eine Handvoll dicker Filzstifte aus einer Tüte und sagte: »Aktion.«
Die NPD-Wahlplakate, auf denen sein Vater abgebildet war, sollten sinnreiche handgeschriebene Zusätze erhalten. Es waren noch vier Tage bis zur Wahl, und wenn sie heute nacht möglichst viele bemalten, konnte sicher nicht mehr neu plakatiert werden. Bo hatte vor, die Plakate mit Parolen zu verzieren, die noch rechtsradikaler wirkten. Er hoffte auf einen Lerneffekt bei seinem Vater, wenn der sich von der eigenen Seite beschimpft fühlte.
Sie machten sich auf den Weg, als es dunkel war, und fingen in den entlegeneren Gegenden an. Unter den Namen Arnold Pletsky schrieben sie: »Klingt aber schwer nach Polack« oder »Deutschland den Deutschen - Pletsky go home«. Später kam Laura auf die Idee, »Kretsky und Pletsky« zu schreiben, und Giovanni steuerte noch die Variante »Arnold Pletsky Russky zerfetsky« bei. Als sie gegen drei Uhr morgens in die Innenstadt vorgedrungen waren, nahmen sie noch den Spruch »Arnold Pletsky - Wehrkraft zersetsky« ins Repertoire auf.
Giovanni gewann unterwegs noch zwei Bekannte für die Sache, und kurz vor fünf, als es hell wurde, trafen sie immer öfter auf Plakate, die schon beschriftet waren.
Nur zweimal hatten sie vor Streifenwagen flüchten müssen. Es war wunderbar, dicht zusammengedrängt in einer Hofeinfahrt oder hinter Müllcontainern zu verharren, den Herzschlag der anderen zu spüren und so einander verschworen zu sein. Giovanni erinnerte sich an die Touren mit den Zwanzig-Centime-Stücken. Es war dasselbe Gesetzlosengefühl. Gegen die Welt. Aufeinander angewiesen.
Bo schlief auf der Couch im Wohnzimmer und war schon weg, als Laura und Giovanni gegen ein Uhr herunterkamen. Ein Zettel lag auf dem Tisch. Bin schon wieder in Hamburgsky. Oder wenigstens fast. Euer Bo.
Es war ein Fehler gewesen zu glauben, daß die Musterungskommission mit ihm nichts anfangen könne. Giovanni erhielt das Prädikat T 4. Nach einem Blick in seinen Hintern, einem Griff an seinen Penis und der Prüfung einer Flasche mit Urin fanden die Ärzte, er sei gut genug, die freie Welt zu verteidigen. Es müsse ja nicht grad als Pilot oder Feldjäger sein.
Er war sich so sicher gewesen, als untauglich durchzukommen, daß er weder viel geraucht noch Kaffee literweise oder irgendwelche Tabletten zu sich genommen hatte. Er hatte nicht auf schwul gemacht und nicht auf selbstmordgefährdet. Nicht einen der mehr oder wenigen guten Tips, die für diesen Fall weitergegeben wurden, hatte er beherzigt. Schließlich war Bo wegen einer Trichterbrust untauglich. Und Norbert wegen eines Herzfehlers. Wie konnten die dann Giovanni nehmen mit seinen spindeldürren Ärmchen, seinen Plattfüßen, dem Hohlkreuz und einem linken Auge, das gerade mal Farben unterschied? Es war unfaßbar.
Sein zweiter Fehler war, daß er in der Verhandlung, in der er seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung begründen sollte, auf den Humor des Vorsitzenden spekulierte. Die Frage, was er denn täte, wenn er, eine Maschinenpistole unterm Arm, mit seiner Schwester im Wald spazierenginge, und da käme plötzlich ein Russe und wolle sie vergewaltigen, beantwortete er wohl ein wenig zu leichtsinnig. Er sagte: »Wenn ich die Maschinenpistole unterm Arm habe, denkt der ritterliche Russe, ich wolle der Frau was antun, er weiß ja nicht, daß sie meine Schwester ist, und deshalb greift er mich an. Das macht er, um sie zu retten.«
»Aber nein«, sagte einer der Beisitzer noch geduldig, weil er Giovanni für zu blöd hielt, die Frage zu verstehen.
Das machte ihm den jungen Mann sympathisch. »Der Russe will die Frau vergewaltigen, nicht Sie.«
»Nicht mich?«
»Der Russe die Frau.«
»Woher weiß ich das?« sagte Giovanni. »Ich kann
Weitere Kostenlose Bücher