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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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doch gar kein Russisch. Er fragt vielleicht nur nach dem Weg.«
    »Gehen Sie einfach davon aus, daß er es will. Was tun Sie dann?« Der Ton des Beisitzers hatte sich verändert. Es klang nicht mehr geduldig.
    »Das muß sich sowieso um eine Verwechslung handeln«, sagte Giovanni. »Ich habe nämlich gar keine Schwester.«
    »Beantworten Sie die Frage, Herr Burgat«, donnerte jetzt der Vorsitzende, »und lassen Sie den Blödsinn!«
    »Also gut, dann will er meinen Bruder vergewaltigen. Woher weiß ich, ob mein Bruder nicht Lust auf ein Techtelmechtel hat? Da kann ich mich doch nicht einfach einmischen. Ist doch seine Sache, oder? Wenn er einen hübschen Russen sieht, das geht doch mich nichts an. Ach übrigens, da muß noch eine Verwechslung vorliegen. Ich habe nämlich gar keine Maschinenpistole. Das kann gar nicht ich sein, der da im Wald mit diesem Mannweib spazierengeht. Sie müßten denjenigen fragen, der die Knarre hat, nicht mich.«
    »Ihr Spieß wird ihnen Manieren beibringen«, sagte der Vorsitzende. »Danke, Herr Burgat, Sie können gehen.«
    An der Tür drehte sich Giovanni noch einmal um und fragte, ob er das Protokoll haben könne, er wolle ein Buch draus machen. Die Story mit dem Russen und der Schwester sei so toll.
    »Raus«, sagte der Vorsitzende.
    Daß er bei der zweiten Verhandlung durchkam, verdankte er der disziplinierten Demut, die er an den Tag legte, einigen unbestreitbar vom Bundespräsidenten Heinemann ausgesprochenen Sätzen und der Tatsache, daß der Vorsitzende und die drei Beisitzer nicht dieselben waren und wohl das Protokoll der ersten Verhandlung nicht zu Gesicht bekommen hatten. Zu seinem Glück.
    Paul hatte eine Gastprofessur in Aix angenommen und Giovanni gebeten, für ein Jahr, oder bis ihn Laura hinauswerfe, in der Landhausstraße zu wohnen. »Wär mir recht, es ist ein Mann im Haus«, hatte er gesagt.
    »Daß du Mann sagst, ist nett.« Giovanni war froh, das Kabuff am Schloßberg wieder aufgeben zu können. Er hatte fast nie dort geschlafen, und ihn reuten die siebzig Mark Miete.
    Für die Zeitung durfte er nach wie vor Konzerte, Festivals und ähnliches besprechen, wurde manchmal sogar schon mit Spezialaufgaben betraut. Artikel über ein Ferienlager oder eine Szenekneipe zum Beispiel. Nachmittags arbeitete er in einer Cafeteria des Studentenwerks, spülte das Geschirr, räumte die Gartentische ab und putzte den Küchenboden. Den Gitarrenunterricht hatte er ganz aufgegeben, denn die Ansprüche waren gestiegen, und er hatte keine Lust, immer wieder Anfänger zu unterrichten. Als ihm der letzte seiner Schüler über den Kopf gewachsen war, hatte er einfach aufgehört. Er verdiente etwa siebenhundert Mark im
    Monat, viel mehr, als er brauchte, und so sparte er alles, was übrigblieb. Für ein Auto. Es machte Giovanni nichts aus, zu sparen.
    Er nahm Fahrstunden. Die waren das Abitursgeschenk seines Vaters. Laura hatte sich für Theaterwissenschaft eingeschrieben, aber sie sah es als Parkstudium an. Bis ihr das Richtige einfallen würde.
    Giovanni wollte nicht studieren, bevor er den Zivildienst hinter sich hätte. Vielleicht auch überhaupt nicht. In den letzten Schuljahren war eine solche Abneigung gegen das Hineinfressen von Daten und Fakten, dieses Aufpumpen des Gehirns mit Wissen, in ihm gewachsen, daß er sich nicht sicher war, ob er das noch mal wollte. Es ist besser, die Augen offenzuhalten, als sie sich beim Studieren zu verderben, hatte er zu Paul gesagt, als er ihn nach seinen Plänen fragte.
    »Man kann auch schlau sein ohne Uni«, hatte Paul geantwortet, »aber man kann dort auch was lernen.«
    Giovanni wußte es einfach nicht. Erst mal leben, dachte er, dann weitersehen. Das Schicksal hat meine Telefonnummer, es gibt mir schon Bescheid. Daß Laura studierte, war insofern gut, als er seine Fahrstunden vor ihr geheimhalten konnte. Außerdem kam sie mindestens einmal täglich in die Cafeteria und besuchte ihn bei der Arbeit.
    Noch vor der Fahrprüfung kaufte er einen dunkelblauen Käfer für zwölfhundert Mark. Den weihte er ein, indem er sich von einem Fan der Royals, der sich selbst als eine Art Hilfsmanager sah, an einem Samstagabend aufs Land fahren ließ.
    Durch einen Freund war er den Royals empfohlen worden. Die suchten einen Gitarristen, und er sollte sich, bevor man miteinander verhandeln oder proben würde, einen Auftritt von ihnen ansehen. Die Mitglieder der Royals fuhren Mercedes, verdienten ein Heidengeld, indem sie jedes Wochenende Turnhallen auf dem Land

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