Das Herz kennt die Wahrheit
Männern bei der Arbeit und schaute sich kein einziges Mal mehr nach ihr um.
Darcy kehrte an ihre eigene Arbeit zurück und fragte sich, warum Gryf so verschlossen war. Vielleicht hatte er sich mit den anderen an Land gestritten. Oder hatte sie etwas gesagt, was ihn beleidigt hatte?
Darcy beendete den Eintrag im Logbuch und legte dann das Buch und die Feder zur Seite. Seit Stunden saß sie nun schon in der Kajüte, in die Arbeit vertieft. Jetzt wollte sie noch eine Runde an Deck drehen, ehe sie sich schlafen legte. Sie holte ihren dicken Wintermantel und blies die Kerze aus, bevor sie zur Treppe ging.
Ein eisiger Wind wehte ihr das Haar ins Gesicht, als sie an Deck stieg. Einen Moment blieb sie stehen, damit ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Dann schaute sie sich um. Jeder, so schien es, hatte sich für die Nacht zurückgezogen. Beinahe jagte ihr die Stille Angst ein, doch sie schüttelte das Gefühl rasch ab. Dann nahm sie den kräftigen Duft von Tabak wahr, und als sie sich umdrehte, sah sie die Umrisse einer Gestalt, die allein an der Bordwand stand.
Gryf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie würde es sich zwar nicht eingestehen, aber im Stillen hatte sie gehofft, ihn hier anzutreffen.
"Ist dir nicht kalt?"
Er drehte sich nicht um. Bei den leisen Schritten hatte er gleich gewusst, dass Darcy hinter ihm über das Deck ging. "Ich habe die Kälte nicht bemerkt."
"Nein?" Sie lachte. "Du musst aus Stein sein."
"Wenn es doch so wäre." Er zog ein letztes Mal an der Pfeife, leerte den Kopf an der Reling und sah zu, wie die glühende Asche in das dunkle Wasser fiel.
"Du klingst so … trübsinnig. Vermutlich hast du über etwas sehr Ernstes nachgedacht."
"Ja." Seine Hand umschloss den Pfeifenkopf. Als er abgekühlt war, steckte er die Pfeife in die Tasche und stellte den Kragen seines Mantels hoch. "Ich kann meine Gedanken besser ordnen, wenn ich hier oben bin, wo ich den Mond und die Sterne sehen kann."
"Ich sehe mir auch gerne die Sterne an." Sie stellte sich in den Wind und beobachtete den silbernen Pfad des Mondlichts, der auf den Wellen schimmerte. "Hast du etwas dagegen, wenn wir uns die Sterne gemeinsam ansehen?"
"Was sollte ich dagegen haben? Du bist der Captain."
Sie wandte sich ihm zu und spürte den Zorn, der in seiner Stimme mitschwang. Ohne nachzudenken, legte sie die Hand auf seine – und merkte, wie er zusammenzuckte. Ihr Herz begann unruhig zu pochen.
"Was ist, Gryf? Habe ich etwas gesagt oder getan, womit ich dich verärgert habe?"
"Es liegt nicht an dir, Darcy." Jetzt drehte er sich um und sah sie zum ersten Mal an. Er spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen, als er sah, wie sie ihn anschaute. Gott im Himmel, wie sollte er diesem einladenden, vertrauensvollen Lächeln widerstehen? "Es geht um mich. Ich brauche Zeit für mich selbst."
"Oh. Ja. Natürlich."
Er sah, wie ihr fröhliches Lächeln schwand; verwirrt und mit traurigen Augen stand sie nun vor ihm.
"Ich … werde dich jetzt allein lassen." Gerade wollte sie sich von ihm abkehren, als er sie am Arm festhielt.
"Warte." Er wollte sie beruhigen, sich für sein merkwürdiges Verhalten entschuldigen. "Darcy …"
In ihrem Blick lag so viel Hoffnung, dass er sich im nächsten Moment hasste. Dennoch konnte er sich nicht zurückhalten und strich ihr eine Locke von der Wange.
Für den Bruchteil einer Sekunde versteifte sie sich, doch dann schmiegte sie sich wie ein Kätzchen an seine Hand.
Er wusste kaum noch, wie ihm geschah. Ohne einen einzigen Gedanken an die Folgen zu verschwenden, zog er sie leise fluchend an sich und verschloss ihren Mund mit einem Kuss.
Darcys erster Gedanke war, sich aus der Umarmung zu befreien und dem überheblichen Mann eine Ohrfeige zu verpassen. Sollte sie etwa vergessen, dass er sie so kurz abgefertigt hatte? Glaubte er jetzt, alles ließe sich mit einem Kuss bereinigen?
Doch der leidenschaftliche Kuss ließ sie tatsächlich alles vergessen. In einem einzigen Augenblick, als sie seine heißen Lippen auf ihrem Mund spürte, war alles, was bis dahin geschehen war, aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
Dies war keine zärtliche Tändelei. Keine sanfte Liebkosung. Wild und ungestüm verschmolzen die Lippen. Und obwohl es sie erschreckte, war es dennoch zutiefst erregend. Denn in ihr wurde eine Begierde geweckt, die nach Befriedigung verlangte.
Er griff ihr ins Haar, zog ihren Kopf zurück und raubte ihr fordernd einen Kuss. Augenblicklich war sie in einer hellen Flamme des
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