Das Herz meines Feindes
Patenonkel, Lily. Lord Gavin of Durmond. Gavin, ich darf dir meine Frau vorstellen, Lady Lilliane of Orrick.«
»Aha, Lady Lilliane, .Bartons Tochter.«
»Ihr kanntet meinen Vater?« rief Lilliane aus und hatte den Mann schon ins Herz geschlossen. Trotz seines muskulösen Körpers sah er aus wie ein alternder Cherub, mit vol len Wangen und blitzenden blauen Augen.
»Tatsächlich wurde Barton im Haus meines Vaters erzo gen. Ich war ein Knabe, zu jung, um mich schon mit der Kriegskunst zu beschä f tigen, die er auf Durmond erlernte. Aber wir blieben die ganzen langen Jahre über Freunde. Ich bin sehr glücklich zu hören, dass sein Geschick mit dem mei nes Patenki n des verquickt worden ist.« Dann schwand sein Lächeln. »Ich wünschte nur, er hätte lang genug gelebt, um sein Enkelkind noch zu sehen.«
»Ich danke Euch, Lord Gavin«, antwortete Lilliane warm herzig. »Es ist gut zu wissen, dass er von seinen Freunden ebenso vermisst wird wie von seiner Familie.«
»Er wird auch in der Ratsversammlung sehr vermisst. Ob wohl ich gehört habe« – und hier zwinkerte er Corbett zu »ich habe also gehört, dass Euer Gatte wahrscheinlich ein ebenso lärmendes und streitlustiges Mitglied ist, wie Euer Vater es war.«
Corbett zuckte die Achseln, das Gespött seines Patenon kels konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. »Ich zögere nicht, das Wort zu ergreifen, wenn es sich um Angelegenheiten von Bedeutung handelt«, gab er zu. »Aber meine hübsche Gemahlin ist an Staatsgeschäften nicht interes siert.«
Seine Stimme enthielt einen warnenden Unterton, als ob er Gavin davon abhalten wollte, allzu frei zu sprechen. Die Blicke der beiden Männer trafen sich, und Lillianes Lächeln erlosch, als ihr wieder einmal bewusst wurde, dass ihr Mann ihr auf gewissen Gebieten misstraute. Aber dieses Gefühl war nicht von langer Dauer, denn plötzlich verstummte Corbett ganz. Hätte ihre Hand nicht auf seinem Arm gelegen, hätte sie seine Anspannung gar nicht bemerkt. Beunruhigt blickte sie auf und bemerkte, dass er einen großen, hageren Mann anstarrte, der soeben die Halle betreten hatte. Corbetts Ge sicht hatte einen merkwürdigen Ausdruck angenommen. Seine Züge waren grimmig, doch seine Augen blickten dun kel und besorgt, ja sogar verletzlich. Ohne nachzude n ken, platzte Lilliane heraus. »Wer ist das?«
Gavin antwortete ihr. »Das ist Euer Schwager. Habt Ihr ihn denn noch nie getroffen?«
»Wir haben ohne großes Tamtam geheiratet«, antwortete Corbett kurz. »Hughe ist nicht benac h richtigt worden. Wie es scheint, muss ich jetzt dafür Abbitte leisten. Du entschul digst uns natürlich?«
Lilliane tat es leid, Gavins angenehme Gesellschaft aufge ben zu müssen, und zwar ebenso sehr um Corbetts als um ihrer selbst willen. Corbett hatte nun kein Vergnügen mehr an der Gesellschaft, und sie fürchtete sich fast davor, den Mann zu treffen, der ihm so viel Sorgen bereitete.
Ihr Weg zu Hughe war ebenso wenig bemerken s wert wie die höfliche Begrüßung, die beide Männer austauschten, als Lilliane dem älteren Bruder vorgestellt wurde. Überdies hat te Lilliane den Eindruck, dass Hughe of Colchester die Wach samkeit seines Bruders gar nicht wahrnahm. Aber dann merkte sie, dass dies nur deshalb der Fall war, weil Hughe sie mit einem Interesse musterte, das sie beunruhigte.
»Also ist Orricks Tochter einem Colchester in die Hände gefallen.« Seine zusammengekniffenen Augen huschten ge schwind über ihre Gestalt hinweg, ein prüfender Blick, der ihr eine Gänsehaut verursachte. »Ich bin sicher, dass Vater dir vergeben wird, dass du unser Blut mit dem seines Mör ders vermischt hast, denn du hast die Weisheit besessen, un seren Besitz durch Orrick zu vergrößern.« Er wandte seinen Blick Corbett zu und ignorierte ihre Anwesenheit ab diesem Zeitpunkt vollkommen. »Hast du Charles of Harwick schon gesehen? Er und sein Bruder Roger wollten mit dir spre chen.«
Lilliane musste ihre Wut herunterschlucken. Hughe of Colchester war all das, das sie angesichts ihrer früheren Er fahrungen mit dieser Familie erwartet hatte: ein hartherziger Mann von niederer Gesinnung, der jeden grausam behandelte, von dem er nichts zu fürchten hatte. Aber ihr Zorn richte te sich mehr gegen Corbett als gegen Hughe, denn sie konn te nicht glauben, dass er die Kränkung, die seiner Frau zugefügt wurde, so einfach hinnahm. Verletzt und wütend versuchte sie, Corbetts Blick zu erhaschen, aber sein Augen merk war ganz offensichtlich auf seinen Bruder
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