Das Herz meines Feindes
gerichtet.
Verbittert wollte sie ihre Hand von seinem Arm zurück ziehen, aber er legte seine andere Hand fest auf die ihre und ließ sie nicht los. Wenn sie in ihrem eigenen Heim gewesen wäre, hätte sie diese Geste nicht aufgehalten, aber hier, in dieser fremden und beeindruckenden Umgebung zögerte sie, so kühn zu sein. Wütend und gedemütigt ergab sie sich in ihr Schicksal und blieb an der Seite ihres Mannes stehen. Aber ihr langsam im Entstehen begriffenes Vertrauen war erschüttert worden.
Während sie der Unterhaltung der beiden Männer lausch te, konnte Lilliane nicht verstehen, warum Corbett fast für sorglich mit diesem Mann – seinem Bruder – umging, ob wohl sie sicher war, dass er ihn nicht mochte. Dann kam ihr der Gedanke, dass er Hughe vielleicht misstraute. Vielleicht gehörte Hughe zu jenen ›Geiern‹, von denen Corbett mit sol chem Abscheu gesprochen hatte, mit denen er aber aus ge schäftlichen Gründen immer noch zu tun haben musste.
»Bist du gerade erst angekommen?« Hughe ließ seine Au gen über die Menge wandern, als er eine höfliche, aber be langlose Unterha l tung mit seinem Bruder führte.
»Heute Nachmittag«, sagte Corbett, und seine Stimme klang angespannt. »Meine Waren sind in den Docks ange kommen, und ich will sie unbedingt überprüfen.«
»Waren? Zweifellos Schätze aus der Türkei?«
Das hatte offensichtlich Hughes Neugier geweckt, aber Lilliane hörte nicht minder gespannt zu. Dies war das erste Mal, dass sie von solcherlei Waren hörte. War es möglich, dass ihm mehr als die Karawane an Schätzen gehörte, die er mit nach Orrick gebracht hatte? Ihre Finger ertasteten das prachtvolle Halsband, das er ihr geschenkt hatte. Oder vielleicht, so dachte sie, hatte er das nur gesagt, um Hughe von seinem tatsächlichen Vorhaben in London abzule n ken, wie immer das auch aussehen mochte.
Corbett zuckte lässig die Achseln. »Ich habe viele Orte be reist. Ich schicke eine Menge Waren zurück.«
»Und? Gibt es irgend etwas Neues von König Edward?« fragte Hughe beiläufig. »Plant er, jemals nach England zu rückzukehren?«
Lilliane spürte, wie sich Corbetts Arm unter ihrer Hand plötzlich verhärtete. Aber als sie ihn ansah, schien ihn diese Frage nicht besonders zu beschäft i gen.
»Irgendwann muss er ja zurückkommen«, an t wortete er lässig.
Doch sie wusste, dass Corbetts Loyalität seinem König ge genüber alles andere als lässig war. Nicht umsonst hatte man ihm den Titel Lockvogel des Königs gegeben. Wenn er jetzt den Gleichgültigen spielte, musste es einen Grund ge ben. Und offe n sichtlich gehörte sein Bruder nicht zu den Männern, denen er zu vertrauen geneigt war.
Obwohl sie letztlich wenig erfahren hatte und vieles ihrer Spekul a tion überlassen war, fand Lilliane diese Erkenntnis tröstlich und nahm sich vor, der Geheimniskrämerei ihres Mannes in Zukunft mehr Verständnis entgegenzubringen. Aber eines Tages würde er lernen, dass sie seines Vertrauens doch würdig war.
In diesem Augenblick schlössen sich ihnen zwei weitere Männer an, denen sie vorgestellt wurde. Charles und Roger of Harwick waren Zwilling s brüder und etwas älter als sie selbst. Beide waren schlank und besaßen Elfengesichter, die abwechselnd lächerlich jung oder erstaunlich reif dreinblick ten.
»Wir sind froh, dass Ihr zurück seid.« Roger ergriff eifrig Corbetts Hand.
»Aber erzürnt, dass wir keine Einladung zu Eurer Hoch zeit erhalten haben«, stimmte Charles mit ein.
»Sie wurde sehr schnell geschlossen«, antwortete Cor bett, aber der schnelle Blick, den er Lilliane zuwarf, war warnend.
»Trotzdem müsst Ihr uns versöhnen«, warf einer der Brüder ein.
»Ja«, stichelte der andere. »Ihr schuldet all unseren Freun den ein Fest. Auf Eure Kosten, versteht sich.«
»Vielleicht wird Corbett dieses Jahr die Wei h nachtsfeierlichkeiten auf Orrick ausrichten«, schlug Hughe glattzüngig vor.
Es war recht beiläufig dahingesagt, als ob es sich um eine Eingebung des Augenblicks handelte. Aber Lilliane spürte, dass hinter diesen scheinbar harml o sen Vorschlägen eine Ab sicht steckte. Und Corbetts leichte Anspannung sagte ihr, dass er ihre Empfi n dung teilte.
Charles und Roger waren von dem Vorschlag sofort begeistert und verlangten lautstark Corbetts Zustimmung. Als er schließlich einwilligte, hatte Lilliane das sichere Gefühl, dass Corbett aus irgendeinem Grund begeisterter von der Idee war als jeder andere in der Gruppe. Sie verstand diese merkwürdige
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