Das Herz meines Feindes
Lösung für sein geliebtes Or rick an. Aus diesem Grund – und nur aus diesem Grund hatte er ihr diese Ehe aufgezwungen.
Jetzt, da sie ihn so neben ihrem Ehemann stehen sah, wur de sie sich seines beträchtlichen Alters bewusst. Neben dem vitalen Corbett war ihr Vater nur ein Schatten seines früheren Selbst. Oh, er war gesund und munter, mit seinem gerö teten Gesicht und seinem beträchtlichen Körperumfang. Und ganz bestimmt repräsentierte er in seiner eleganten, samte nen Tunika und mit seinem silbergrauen Haar mit jeder Faser seines Körpers den mächtigen Baron.
Aber er war ein alter Mann.
Corbett hingegen war in der Blüte seiner Jahre; Jugend und Erfahrungen vereinten sich zum Besten in ihm. Er besaß die Stärke, das Stehvermögen und die Zeit, um Orrick nach seinen Wünschen zu gestalten. Aber Lilliane war nicht si cher, ob er auch genug Weisheit besaß. Doch sie konnte nichts ausrichten, wie sie sich ins Gedächtnis rief. Er würde über Orrick herrschen, sobald ihr Vater nicht mehr war, und sie war sicher, dass er schon jetzt die Herrschaft übernehmen würde, Stück für Stück. Er würde sich der Vorrangstellung eines anderen nicht lange unterwerfen.
Während sie ihn beobachtete, sah sie, wie sein erster Offi zier, Sir Dünn, ihn beiseite nahm und ihm etwas zuflüsterte. Beinahe sofort verdüsterte sich Sir Corbetts Antlitz beträcht lich, seine vernarbte Stirn verlieh ihm ein hartes, bedrohliches Aussehen. Er wechselte ein paar Worte mit Dünn, und sein Zorn war offensichtlich. Dann blickte er auf und sah sich in der Halle um, bis seine Augen die ihren trafen.
Selbst über die bevölkerte Halle hinweg spürte Lilliane die Kraft seines Blickes, und sie bebte vor Aufregung. Er ängstigte sie. Sie kannte seine Stärke und die schreckliche Macht, die er über sie ausübte. Selbst jetzt noch ließ sie der Gedanke an das intime Zusammensein erschauern.
Doch gleichzeitig fand sie ihn faszinierend.
Ein paar lange Sekunden hielten ihre Augen eina n der fest. Würde es ihr jemals gelingen, den Mann zu kennen und zu verstehen, dessen Ring sie nun als die seine auswies? Lillia ne war sich nicht bewusst, dass sie den schweren Ring an ih rem Finger rieb, während sie ihren Gemahl immer weiter an starrte. Sein Gesicht, das trotz der bösen Narbe, die es veru n zierte, gutaussehend war, wurde etwas weicher, und sie fragte sich, woran er wohl dachte, während er sie be trachtete. Aber ihre Gedanken wurden dadurch unterbro chen, dass jemand ihr den Blick versperrte.
»Lady Lilliane.« Sir William verneigte sich über ihrer Hand, ohne sie zu küssen. »Darf ich Euch meine Gemahlin, Lady Verone, vorstellen?«
Lilliane schenkte der hübschen Frau an Williams Seite ein g e zwungenes Lächeln, das sich in aufric h tige Herzlichkeit verwandelte, als sie sah, wie zögernd die junge Frau sie be trachtete. Sie schien eindeutig zu jung zu sein, um bereits hochschwanger zu sein. »Ich freue mich so, dass Ihr Euch wohl genug fühlt, um an den Festlic h keiten des heutigen Ta ges teilzunehmen. Tullia erwähnte, dass Ihr krank gewesen seid.« Sie nahm Verones scheu dargebotene Hand. »Ich habe mir schon lange gewünscht, die Gemahlin meines Freundes aus Kindertagen kennen zulernen.«
»Oh, und… und darf ich Euch viel Glück in Eurer Ehe wünschen«, stammelte das Mädchen scheu.
»Wie ich es Euch in der Euren wünsche«, antwortete Lil liane und drückte ihre Hand.
William stand steif und schweigsam dabei, als die Frauen so herzlich miteinander sprachen.
»Darf ich Euren Ring sehen?« fragte Verone, die sich in Lillianes Gegenwart zu entspannen begann. »Oh, ist der schön«, rief sie aus, als sie ihn näher betrachtete.
Lilliane hatte den Ring selbst noch nicht genau angesehen. Sie hatte ihn nicht haben wollen, und trotz des ungewohnten Gewichts an ihrem Finger hatte sie versucht, ihn zu ignorieren. Aber jetzt, da sie ihn sich ansah, musste sie zustimmen. Eine breite Filigranarbeit aus ve r schlungenen silbernen und goldenen Weinreben umschlossen ihren Finger fast vom Mittelknochen bis zur Handfläche. Auf dem Band erhob sich ein langgezogener, facettierter Stein, in dem sich die Lichter der vielen Fackeln in der Halle fingen. Er glitzerte so sehr, dass sie nur durch eine Drehung der Hand erkennen konnte, dass es der gleiche lavendelfarbene Edelstein war, der den Kamm und den Spiegel zierte, die sie als Verl o bungsge schenk bekommen hatte.
In diesem Augenblick hob sie den Kopf und suchte die bevölkerte Halle
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