Das Herz meines Feindes
langen Beine vor sich ausg e streckt.
Als ihr Blick sich nicht von ihm abwandte, drehte er den Kopf, um sie anzusehen, und hörte auf, sich mit ihrem Vater zu unterhalten. Die Luft zwischen ihnen schien zu knistern und zum Leben zu erwachen, bis Lilliane sich zwang, den Bann seiner faszinierenden grauen Augen zu brechen.
Hinter ihnen lächelte ihr Vater und nickte leicht. Sein Ge sicht strahlte vor Zufriedenheit, weil es ihm letztlich doch gelungen war, die beiden Häuser durch diese Vermählung zu vereinen. Lilliane wusste, dass er sich von dieser Verbin dung Frieden und Wohlstand erhoffte, aber sie war nicht davon überzeugt. Doch hatte ihr Vater seit ihrer Rückkehr von der Abtei nicht mehr so gut ausgesehen. Es war schwer, ihm zu grollen, wo er so eindeutig an das glaubte, was er getan hatte.
Sie ließ ihren Blick über die Menge schweifen und bemerkte die gute Laune der Hochzeitsgesellschaft. Nur eine Person lächelte nicht. William starrte mit dem Ausdruck schwarzen Zorns vor sich hin. Dann, als ob er spürte, dass sie ihn beobachtete, blickte er zu ihr hinüber. Lilliane jedoch wandte sofort den Blick ab. Sie wusste nicht, wie sie sich Wil liam gegenüber verhalten sollte, aber sie wusste, dass sie nichts tun durfte, um seine Zuneigung zu ihr zu ermutigen. Es war falsch und ganz sicher ungerecht seiner liebre i zenden Frau gegenüber.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als Corbett sich er hob. Er hielt einen Kelch mit Wein in die Höhe, um die Gesellschaft zum Schweigen zu bringen. Erst als vollkommene Ruhe in der Halle herrschte und jedermann ihn erwartungsvoll ansah, begann er zu sprechen.
»Gute Leute von Orrick. Verehrte Gäste. Verehrter Gast geber.« Er nickte Lord Barton zu. »Ich bitte Euch alle, sich mir anzuschließen, auf meine Braut zu trinken, die schöne Lady Lilliane.« Er grüßte sie mit seinem Kelch, dann trank er ihn in einem Zug leer. Als er den leeren Kelch mit einem kräftigen Stoß auf dem Tisch absetzte, begannen alle zu ju beln. Aber als er Lilliane dann aus ihrem Stuhl emporzog, brach die Menge in gutmütiges Gejohle und Pfeifen aus.
Sie war sicher, dass er sie küssen wollte. Seine Augen blickten rauchig und warm, lebendig vor Verheißung und Leidenschaft. Lilliane bebte vor freudiger Erwartung. Ein Teil ihres Selbst war angewidert, dass er sie hier küssen woll te. Aber der andere Teil von ihr hätte sich der Herausforderung gern gestellt.
»Nicht hier, du junger Hengst!« rief eine ziemlich schwere Zunge.
»Zügele deine Leidenschaft!« stimmte ein anderer ein.
»Du hast noch Zeit genug! Zeit genug!«
Bevor sie die Situation wieder in den Griff b e kommen konnte, fand sich Lilliane umgeben von kichernden Frauen, während Corbett von einer grölenden Gruppe von Rittern verschleppt wurde. Sie wurde die Treppen hinaufgezerrt. Tullia hatte sich dem Kreis der schwa t zenden Frauen ang e schlossen. Dann zog eine Gruppe Tullia in ihr Gemach, wäh rend die anderen mit Lilliane zusammen die von Fackeln be leuchteten Stufen emporstiegen.
Im Turmzimmer wich Lilliane vor ihren lachenden Peini gern zurück.
»Seht Euch ihre Wangen an!« neckte sie eine Matrone. »Da brat mir doch einer ‘nen Storch, fast könnte man glau ben, dass sie schon weiß, was ihr Mann für sie in petto hat.«
»Vielleicht weiß sie es ja«, sagte eine andere, weniger fröhliche Stimme herausfordernd.
Sofort wurde es ruhig im Zimmer. Zu Lillianes Schrecken schien es jetzt, dass sie sich einem Zimmer voller Anklägerin nen gegenüber sah. Das Herz klopfte schmerzhaft in ihrer Brust, als ihre weit aufgeri s senen Augen über die Frauen glitten. Dann trat Lady Verone wie ein Schutzengel vor und nahm Lillianes kalte Hände in die ihren.
»Ich glaube, dass sie vielleicht fürchtet, wie wir alle es ta ten, dass die Lebenskraft ihres Mannes der der Hengste und Bullen gleic h kommt, die jedes Mädchen schon einmal gese hen hat.« Sie stellte sich an Lillianes Seite und begann das herrliche, saphirgrüne Gewand aufzubinden, während sie ihre Augen standhaft auf die anderen Frauen gerichtet hielt. »Gibt es denn eine Frau unter uns, die von sich behaupten kann, sich vor der ersten Vereinigung nicht gefürchtet zu ha ben?« fragte sie mit sanfter Stimme, der immer noch nie mand zu widersprechen wagte.
Genau dieser Worte hatte es bedurft, um das schreckliche Schwe i gen zu durchbrechen. Die Frauen überhäuften Lillia ne mit Hänsele i en, mütterlichen Ratschlägen und freundlichen Warnungen, während sie Lilliane
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