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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Strömungen stark und die Zeiten seltsam sind. Erst letzte Nacht hat der Gott zu uns gesprochen. Er hat meiner Schwester und mir einen Traum geschickt, der besagte, dass die Kinder des Himmels nach Schattenmark zurückkehren — so nennen wir das große Haus, von Egye-Vars Schulter grade übers Wasser«, erklärte sie Barrick. »Unser mächtiger Meeresvater träumte, dass einer der Unsterblichen wieder auf Erden wandeln wird und über die Welt Dunkel kommt.«
    »Dunkel kommt«, wiederholte die kleinere, gebrechlichere Schwester.
    Gulda faltete ledrige Hände auf der Brust ihres schlichten, selbstgewebten Gewands. »Es war ein guter Traum, trotz der schrecklichen Dinge, von denen Egye-Var sprach. Er wirkte so wie damals, als wir noch Kinder waren und gerade erst lernten, seine Stimme zu hören — nicht zornig, nicht sonderbar wie zuletzt.«
    »Zuletzt«, wiederholte Meve.
    »Er sagte uns, er wäre es zufrieden gewesen weiterzuschlafen«, fuhr Gulda fort, »aber etwas hat ihn geweckt. Jemand versucht, den Schlüssel in die Tür zu stecken.«
    Barrick wusste nicht, was er mit alldem anfangen sollte. Die Erwähnung der Götter weckte in seinem Kopf eine Wolke von Feuerblumenschatten, so dicht wie ein Schwarm Fledermäuse, der von seinen Niststätten aufgescheucht wird, wirr und widersprüchlich. Die Erinnerung der Qar beinhaltete die Zeit, da die Götter noch auf Erden wandelten, doch selbst die Feuerblume war nur das Wissen des Volkes selbst — die Götter und deren Geheimnisse vermochte sie nicht zu erklären. »Ich verstehe nichts«, sagte er laut.
    »Ihr werdet es auch nicht verstehen«, sagte Gulda. »Noch nicht. Aber unser Herr Egye-Var sagte dies — ›Verzagt nicht. Ich werde meine Kinder nicht im Stich lassen, die neuen wie die alten.‹«
    »Alten«, sagte Meve leise.
    »Das ist alles, was wir zu sagen haben, Herrin«, sagte ihre Schwester und verbeugte sich vor Saqri. »Alle Verstreuten werden ihr Teil tun. Es war falsch von uns, uns aus Furcht nicht auf die Seite Pyarins des Donnerers und seiner göttlichen Brut zu schlagen — selbst der Meeresherr bereute schließlich diese Spaltung. Es war falsch von uns, uns von unserem eigenen Stamm abzukehren. Doch jetzt werden wir zumindest gemeinsam sterben, als Verbündete und Verwandte.« Und Gulda lächelte, ein breites, fast zahnloses Lächeln. »Aber wer weiß? Vielleicht werden wir ja trotz allem leben!«
    Meve lachte. »Leben.«
    Barrick wusste nicht recht, was da vor sich ging. »Wollen sie sagen, die Skimmer werden mit uns gemeinsam kämpfen? Haben sie die Macht, darüber zu entscheiden?«
    »Nein«, sagte Gulda. »Aber unser Herr Egye-Var, der Herr der grünen Wasser, hat sie. Unser Volk wird noch einmal an der Seite unserer Sippe kämpfen.«
    »Kämpfen«, wiederholte Meve.
    Saqri trat vor, bis sie direkt vor Gulda und Meve stand. Ihr blasses, dunkeläugiges Gesicht war heiter und freundlich. In solchen Augenblicken schien sie Barrick das Schönste, das er je gesehen hatte. »Auch wenn diese Augenblicke alles sind, was uns die Lange Niederlage an Siegen gewährt, ist der Triumph doch unser.« Saqri streckte die Hand aus und legte sie den beiden Skimmerfrauen kurz auf die Stirn; Meve seufzte unter der Berührung laut auf. »Lebt wohl, Schwestern.«
    Barrick hörte ein leises Platschen und drehte sich um. Wie durch Saqris Worte herbeigerufen war das Fischerboot wieder da und glitt, von Rafe gerudert, auf sie zu. Hinter Rafe im Bug stand eine Art großer Kasten. Als das kleine Boot näher kam, überwältigte Barrick ein diffuses Gewirr von Feuerblumenstimmen ...
    Selbst die Götter bereuen den Götterkrieg ...
    ... Der Ozean hegt keinen Groll mehr ...
    Warum hat dann der Herr der grünen Wasser sein Lied geändert?
    ... aber auch die plötzliche Erkenntnis, dass er im Begriff war, nach Südmark zurückzukehren.
    Aber ist das wirklich mein Zuhause? Außer in den Momenten mit Briony war ich dort nie glücklich. Ich habe dort nie diesen Widerhall in meinem Innersten gespürt so wie in Qul-na-Qar ...
    Das schlagende Herz des Volkes.
    Wiedererbaut auf Silberglanz' Gebeinen und der Asche, die das Herz der Blume der Morgenröte war ...
    Unser altes Haus, das das Volk vielleicht nie wiedersehen wird ...
wisperte der Chor.
    ... Trotzdem, Südmark war immer mein Zuhause,
dachte Barrick.
Wie kann es mir jetzt so fremd erscheinen ...?
    Erst als er Saqris kühle Finger auf seinem Arm fühlte, merkte er, dass die alten Skimmerfrauen wieder im Dörrschuppen

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