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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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doch über einem felsigen Ufer mit Gezeitentümpeln führte ein von Laternen erhellter Steg zu einem steinigen Stück Strand und einem sonderbaren kleinen Haus, das wesentlich länger als breit war und ein mit getrocknetem Seetang und Dünengras gedecktes Dach hatte.
    Nachdem Barrick es eine Weile angestarrt hatte, ging ihm auf, dass das, was wie ein dahinter stehendes, separates Steinhaus aussah, ein riesiger Kamin war, der in die Höhlendecke führte und vermutlich irgendwo ins Freie mündete.
    Das ist ein Dörrschuppen,
dachte er.
Wie die Skimmer überall an der Lagune welche haben. Aber was macht dieser hier auf M'Helansfels? Wie verbergen sie den ganzen Rauch?
    Als hätte er Barricks Gedanken gelesen, sagte Rafe: »Wir zünden das Feuer nur nachts an. Der Rauch geht durch einen Spalt woanders auf der Insel ins Freie — wo er wirklich herkommt, kriegt keiner raus, außer er gräbt ein paar Wochen. Aber jetzt wird das Feuer eh nicht mehr oft angezündet. Ist mehr so ... wie heißt das? Tradition.«
    »Eine alte Tradition«, sagte Saqri. »Hier hat sich unser Volk das erste Mal zu seinem Gebieter bekannt, dem Wasserherrn.«
    Er sah sie merkwürdig an, offensichtlich gleichzeitig erschrocken und erfreut über ihr Wissen. »Ich weiß da nichts von, Herrin. Ich bin nur ein gewöhnlicher Fischer.«
    »Aber du wirst eines Tages Vorsteher sein, und das weiß der Vater des Mädchens«, sagte sie. »Deshalb ist er so hart gegen dich, Rafe Rumpf-schrammt-Sand.«
    Das schien den jungen Skimmer sprachlos zu machen: Er bekam den Mund erst wieder auf, als er das Boot am Steg vertäut hatte und Saqri die Leiter hinaufhalf.
    »Ich fahr die Kleinen holen, während Ihr mit den Schwestern redet«, erklärte er und stieg dann wieder in sein Boot.
    Als Barrick mit Saqri den Steg zu dem langen Schuppen entlangging, hatte er plötzlich das seltsame Gefühl, dass ihm das alles vertraut und gleichzeitig ganz und gar fremd war. Etwas in ihm erkannte diesen Ort wieder, erkannte seine Macht, aber ein anderer Teil konnte sich nicht vorstellen, wie ein so unscheinbares Gebäude so intensive Empfindungen auslösen sollte. Es fühlte sich alt an — so alt wie Krummlingshall in der Stadt Schlaf, so alt wie Teile von Qul-na-Qar, doch obwohl das Holz grau und verwittert war, schien nichts, was er sah, älter als hundert Jahre — ein flüchtiger Moment, verglichen mit dem Alter des mächtigen Hauses des Volkes, das immerhin einst das Heim eines Gottes gewesen war.
    Zwei kleine, gebeugte Gestalten standen in der Tür des Langhauses, Skimmerfrauen, die mindestens so alt wirkten wie das Gebäude.
    »Willkommen, Tochter des Kioy-a-pous«, sagte die, die sich noch etwas aufrechter hielt. Wie ihre Schwester hatte sie nur wenige Haarsträhnen auf dem Kopf, und ihre Haut war runzlig wie getrockneter Schlamm, doch als sie Barrick ansah, waren ihre Augen wach. »Und auch Ihr, Menschling, Sohn des Olin und der Meriel — seid willkommen. Man hat uns gesagt, Ihr kämt. Oh, und Ihr seid jetzt noch mehr, als man Euch ansieht, was? Das riechen wir. Gulda bin ich, und das ist meine Schwester Meve.«
    Barrick nickte nur auf diese seltsame Begrüßung hin, doch die Erwähnung seiner Mutter überraschte ihn. Andererseits — die beiden Alten hatten ja sicher miterlebt, wie Olin seine junge Braut aus Brenland heimgeführt hatte. Vielleicht hatten sie sie sogar durchs Basiliskentor reiten sehen, mit ihrer ganzen Mitgift und ihrem Hausstand ...
    Was hatte sie von all dem hier gehalten, die junge Königin Meriel? Barricks Vater hatte seinen Kindern immer erzählt, wie lebhaft ihre Mutter gewesen war, wie sehr sie einfache, heitere Dinge wie Singen und Tanzen und Reiten geliebt hatte. Hätte sie irgendetwas anderes getan, wenn sie gewusst hätte, wie wenig Zeit ihr blieb? Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie ihre Tage besser hätte verbringen können.
    »Große Königin, seid Ihr gekommen, um die Schuppe zu befragen?«, sagte Gulda jetzt, an Saqri gewandt.
    Eine von Silberglanz' Kacheln,
flüsterte die Feuerblume.
Ein Spiegel, der ein Loch zu den Traumlanden öffnet . .
    Saqri schüttelte den Kopf. »Das wage ich nicht. Ich habe im Moment Bedenken, mich diesen starken Strömungen auszusetzen. Außerdem — was ich an Gedanken über die Zukunft habe, will ich ohnehin für mich behalten. Mich ängstigt, was andere von mir erfahren könnten, wenn ich meine Gedanken der Schuppe öffnen würde, so weit vom Sitz meiner Macht entfernt.«
    Gulda nickte. »Es stimmt, dass

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