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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hier?«
    »Gestern Abend.« Saqri blickte auf »Und wenn dieses Schriftstück wahrheitsgetreu wiedergibt, was da gesprochen wurde, weiß der Südländer weit mehr über diese Burg und ihre Geschichte, als selbst die Feuerblume und die Tiefe Bibliothek auch nur erahnen. Jetzt, in diesem Moment, ist dieser Autarch Sulepis auf dem Vormarsch in die tiefen Stätten, wo die Türen sind.«
    »Türen? So wie die, durch die wir hierhergelangt sind?«
    »Ja, Orte, wo die Welt dünn ist. Aber die Tür unter diesem Ort, der zuletzt der Sitz deiner Familie war, ist anders als alle anderen. Sie wurde von Krummling geöffnet und dann auch von ihm geschlossen, und nur seine erlöschende Kraft hat sie so lange zugehalten. Durch sie hat er die Götter, die ihn gepeinigt hatten, in die Verbannung gestürzt, und seinetwegen sind sie immer noch jenseits dieser Tür, vom Schlaf gefesselt. Doch selbst in diesem Schlaf träumen sie davon, zurückzukehren und Rache an der Welt zu nehmen ...«
    Gedanken der Feuerblume drifteten zu ihm empor, Gedanken von so abstrakter, aber überwältigender Schrecklichkeit, dass Barrick sich kaum auf den Beinen zu halten vermochte.
    Saqri jedoch fuhr fort, als hätte sie sich an jedem Tag ihres Lebens mit solchen Dingen befasst, was ja vielleicht auch stimmte. »Da wir gerade von den dünnen Stellen der Welt sprechen«, sagte sie zu den Dachlingen, »wir müssen jetzt mit dem anderen Stamm sprechen, der diesen Ort mit euch teilt.«
    »Gewiss! Wir sind nicht die einzigen Verstreuten, die unsere alten Verwandtschaftsbande ehren werden«, versicherte Herzog Ketelhut.
    »Wir müssen bald aufbrechen«, erklärte ihm Saqri. »Sobald es dunkel wird. Können die Leute, die Ihr mit mir schicken wollt, bis dahin bereit sein?«
    »Unsere Gesandtschaft wird eine Stunde vor Sonnenuntergang bereitstehen«, versicherte er. »Wir erwarten Euch am Anlegesteg.«

    Es gab Zeiten, da die Feuerblume allem Schatten und Reflexe zu verleihen schien. Als Barrick Saqri den Weg vom Sommerhaus zum Meer hinab folgte, schimmerte alles um ihn herum wie in einem Fiebertraum. Es war eindeutig leichter hier auf M'Helansfels, wo die meisten Dinge nicht so viele Bedeutungsschichten hatten wie alles in Qul-na-Qar, aber Saqri selbst, als Königin wie auch als Letzte einer langen Abstammungskette von Frauen, die die Feuerblume in sich getragen und weitergegeben hatten, war so voller ... nun ja,
Bedeutung
eben, dass es Barrick schon erschöpfte, auch nur in ihrer Nähe zu sein.
    Unterwegs sprach sie ruhig und gelassen, als wäre es nur ein zufälliges Thema, vom Götterkrieg und der Langen Niederlage, die begonnen hatte, als die Qar die schicksalhafte Entscheidung trafen, aufseiten der himmlischen Sippe Brises zu kämpfen, was ihnen die Feindschaft der Drei Brüder und der Sippe Feuchtes eintrug und zudem den Verlust der Herrschergewalt über viele Gruppen ihres eigenen Volkes, darunter auch die Dachlinge, die Barrick eben kennengelernt hatte.
    Auch wenn sie in den Gesprächen und in der Kunst der Qar kein explizites Thema war, begriff Barrick, war die Niederlage doch immer noch ein Teil ihres Wesens und ihrer Kultur. Sie war unausgesprochener Inhalt ihrer gesamten Dichtung, lautloser Kontrapunkt all ihrer Gesänge. Die Jahre, seit Barricks Vorfahren ihre Prinzessin geraubt und ihr Volk hinter die Schattengrenze zurückgetrieben hatten, waren für die meisten Qar die Bestätigung dafür gewesen, dass ihr Ende nahte. Deshalb hatten sich so viele bereitwillig Yasammez' Kreuzzug angeschlossen. Wenn das Ende ohnehin kam, warum ihm dann nicht tapfer entgegentreten?
    Und ich? Was ist meine Rolle in dieser Niederlage? Warum haben die Götter oder das Schicksal, oder was auch immer das Leben der Menschen regiert, zugelassen, dass mir die Feuerblume übertragen wurde, wenn ich doch nicht mehr tun kann, als mit ihr in mir zu sterben?
    Saqri war vom Hauptweg abgebogen und folgte jetzt dem kurvigen Pfad hinunter zur Seewiese, wo er und Briony so viele Stunden ihrer Kindheit verbracht hatten. Sie bewegte sich über die Wiese wie ein vom Wind getragener Seidenschal und betrat dann einen schmalen, gewundenen Pfad, an den sich Barrick gut erinnerte, einen »Elbenpfad« hatte ihn Briony genannt, und es hatte sie beide amüsiert, weil er nirgends hinführte. Er holte die Königin an der Stelle ein, wo der abschüssige Pfad ein Stückchen über den Wellen der Brennsbucht endete. Zu seinem Erstaunen dümpelte dort im Wasser ein glattgeschmirgeltes, graues

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