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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geh schon«, sagte Theron zu dem Jungen. »Such uns einen Platz zum Unterstellen.«
    Lorgan zögerte immer noch. »Was sind das für klumpige Dinger unter den Dachrändern?«
    Theron musterte die nächststehende Behausung mit zusammengekniffenen Augen. »Das da? Wespennester vielleicht, aber ich sehe keine Wespen, du? Auch egal, wenn man nicht an ihre Nester rührt, tun sie einem nichts — das weiß doch jeder. Jetzt geh und such uns ein trockenes Plätzchen.«
    Das Kind schlich auf Zehenspitzen los, was Theron irritierte. Es war ja schon schlimm genug, durch solch götterverlassene, leere Lande zu ziehen, wo man überall auf beunruhigende Spuren einer Massenflucht stieß; dass der Junge jetzt auch noch tat, als könnte jeden Moment ein schreckliches Untier oder ein Oger aus dem Gebüsch hervorbrechen, machte es nur noch schlimmer. Jetzt wurde Theron selbst schon nervös. »Um der heiligen Orakel willen, schaust du jetzt endlich nach?«
    Lorgan beugte sich ins nächststehende Haus, ohne irgendetwas zu berühren, so als könnte das Holz selbst vergiftet sein. Er richtete sich gleich wieder auf und schüttelte den Kopf, ging zum nächsten Haus und blickte ängstlich zu den merkwürdigen, grauen Dingern hinauf, die beidseits der offenen Tür am Dachvorsprung hingen. Wieder tat der Junge sein Bestes, jeden Kontakt mit dem Haus zu vermeiden, und wieder richtete er sich kopfschüttelnd auf.
    »Matschig«, sagte Lorgan leise, aber mit einem trotzigen Unterton, als ob Theron eine Diskussion vom Zaun brechen wollte, was nicht der Fall war — der Pilgerführer war einfach nur müde und hoffte, dass sie für heute hier bleiben und ein ordentliches Feuer machen konnten, um die kriechende Kälte aus seinen Knochen zu vertreiben. Er brauchte ja nur noch diesen vermummten Narren möglichst nah bei Südmarkstadt abzusetzen, sein Geld zu nehmen und zuzusehen, dass er nach Hause kam. Nie wieder würde er im regennassen Wald übernachten müssen. Nie wieder würde er Wolfsgeheul hören und sich fragen müssen, ob er es wagen sollte zu schlafen. Er hatte von diesem Irren einen ganzen Sack voll Geld bekommen, genug, um sich Vieh und ein hübsches Landgut in Südgronefeld an der brenländischen Grenze zu kaufen. Vielleicht konnte er mit all dem vielen Geld ja ein Richteramt erwerben — oder sogar einen niederen Adelstitel? Theron, Baron von Stefanienberg — das lohnte doch wohl ein paar Unbequemlichkeiten ...!
    Er wurde jäh aus seinen Tagträumen gerissen, als der Junge plötzlich schrie, mit den Händen fuchtelnd von einer der Haustüren zurücksprang, als hätte er den Veitstanz, und sich dann zu Therons Verblüffung in
die Luft erhob.
Dem Pilgerführer blieb wenig Zeit hinzustarren, denn plötzlich spürte er selbst einen Stich auf der Wange, noch einen am Hinterkopf, einen dritten am Arm.
    Wespen ...!,
war sein erster verwirrter Gedanke — verwirrt deshalb, weil ihm, noch während er zurücktaumelte und um sich schlug, um die unsichtbaren Geschöpfe zu verjagen, durchaus bewusst war, dass keine Wespe auf dieser Welt die Kraft hatte, einen Jungen mehrere Handbreit in die Luft zu zerren. Danach kam er gar nicht mehr groß zum Denken.
    Etwas wickelte sich um seinen Arm, als er die Stechinsekten zu vertreiben suchte. Konnten es Spinnen sein, die über sie herfielen? Aber die Stränge, oder was immer es sein mochte, waren haltbarer als jeder Spinnenfaden, dem Theron je begegnet war. Als er einen durchriss, schlang sich ein zweiter um ihn, dann noch einer und noch einer. Noch immer vermochte er von der Art des Angriffs nichts zu erkennen, außer dass weitere schmerzhafte Stiche an seinen Armen und Beinen folgten. Theron brüllte, versuchte verzweifelt, sich von dem loszureißen, was ihn da umschlang. Er hörte ganz in der Nähe den Jungen schreien, was ihn anstachelte, noch heftiger zu kämpfen. Er schaffte es, mehrere der Fäden abzuschütteln und in die Mitte der Rodung zu stolpern, weg von den Häusern. Sein Auftraggeber, der vermummte Pilger, war nirgends zu sehen. Theron wischte sich das brennende, schmerzende Gesicht und vergeudete einen Moment damit, die Feigheit des Alten zu verfluchen. Als er seine Haut rieb, blieb etwas an seiner Hand hängen. Er sah hin und fand kein sterbendes Insekt, sondern einen winzigen Pfeil oder noch winzigeren Speer, der mit blutiger Spitze und gebrochenem Schaft auf seinem Handteller lag.
    Theron blickte verwundert auf und sah, dass es unter dem Dachvorsprung des nächststehenden Hauses von

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