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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatte sie alle ausmanövriert. Jetzt, da Olin verschwunden war und die Besten der Markenlande zu einem so großen Teil ihr Leben auf dem Schlachtfeld gelassen hatten, genoss niemand auch nur annähernd so viel Loyalität wie Brone — Hendon Tolly schon gar nicht.
    »Bei den drei wohlwollenden Brüdern, wo hast du gesteckt, kleiner Dichterling?«, fragte der massige Mann, als Kettelsmit endlich vorgelassen wurde. »Ich habe Perch und Hecksel auf die Suche nach dir geschickt, mit dem Auftrag, dir die Beine zu brechen.«
    »Hendon Tolly hat mich über ein Tagzehnt nicht von seiner Seite gelassen.«
    Brone quittierte das nur mit einem verächtlichen Schnauben und bot Kettelsmit nicht mal etwas zu trinken an (was er nie tat), doch unter der üblichen rauhen Schale schien er einigermaßen erfreut, den jungen Mann am Leben und wohlauf zu sehen.
    »Dann lasse ich die Wachen wohl noch ein bisschen draußen, hm?«, sagte der Graf Er nahm eine bequeme Zuhörstellung ein, den kranken Fuß auf einem Polsterbänkchen. »Erzähl mir alles, was du gehört und gesehen hast, Dichterling. Liefere mir etwas Nützliches, und es ist Gold für dich drin.«
    Gold? Ich bin ja schon froh, wenn ich aus dem Ganzen lebend herauskomme,
dachte Kettelsmit, sagte es aber natürlich nicht — für ein paar Münzen gleich welchen Metalls würde er schon Verwendung finden. Er bemühte sich, Brone alles ganz genau zu erzählen, von der seltsamen Szene auf dem Friedhof und Okros' Leichnam in der Eddon-Gruft über all das, was er in Hendon Tollys persönlichen Diensten mitbekommen hatte, bis hin zu den jüngsten Geschehnissen. Er war erst auf halber Strecke, hatte Brone gerade etwas stolpernd vom Treffen des Protektors mit dem Autarchen berichtet, als der alte Mann etwas tat, was ihn verblüffte. Mit erhobener Hand unterbrach er Kettelsmit mitten im Satz und rief nach einem Pagen.
    »Oyler, bring Meister Kettelsmit etwas zu essen«, befahl er dem nicht sonderlich sauber gewaschenen Jungen. »Und nichts Kaltes und Ekelhaftes, du kleiner Teufel. Bring was, das eben noch auf dem Feuer war.«
    Der Junge eilte hinaus. Dann, als Kettelsmit sich schon fragte, ob er eingeschlafen war und träumte, hievte Brone — nicht ohne reichliches Ächzen und Fluchen — einen Krug Wein hinter seinem Sessel hervor und goss nicht nur sich einen Becher ein, sondern auch Kettelsmit. Das war noch nie da gewesen!
    »Wenn du etwas gegessen hast — du siehst übrigens schrecklich aus, Junge —, erzählst du mir die Sache mit dem Autarchen noch einmal, aber langsam, damit ich mitschreiben kann. Nur zu, trink.« Brone sah Kettelsmit einen Moment stirnrunzelnd an, als ob der Dichter derjenige wäre, der völlig aus der Rolle fiel, und nicht er selbst. »Einstweilen, während du isst, erzähl mir, was seither noch passiert ist.« Er schüttelte den Kopf. »Das also ist Okros wirklich widerfahren! Seine Verletzung sah auch nicht aus, als ob eine Mauer auf ihn gefallen wäre — bei den Dreien, es sind ja genug Mauern eingestürzt, seit diese Kanonen die ganze Zeit krachen, und wir haben wer weiß wie viele Tote und Sterbende darunter hervorgezogen. Mal ganz davon abgesehen, dass der Arm nirgends zu finden war. Nein, das war selbst mir ein Rätsel — Mord, das kennt man ja, aber jemandem einfach einen Arm abtrennen, so sauber wie ein Metzger ...?«
    Kettelsmit saß noch mindestens eine Stunde bei Brone, wahrscheinlich länger. Brone stellte ihm Fragen, die ihn manchmal veranlassten, etwas bereits Gesagtes abzuändern, worauf Brone dann unter mächtigem Fluchen die betreffende Stelle auf dem Pergament durchstrich und die neue Version niederschrieb.
    Als die Befragung beendet war, erklärte Brone dem Dichter, wie er ihm in dringenden Fällen eine Botschaft zukommen lassen könne. Dann drückte er, um die Absonderlichkeit seines Verhaltens an diesem Abend komplett zu machen, Kettelsmit zum Abschied die Hand. »Gut gemacht«, sagte der massige Mann. »Das ist reichlich Stoff zum Nachdenken. Versuch am Leben zu bleiben. Es würde einen Verlust an nützlichen Informationen bedeuten, wenn Tolly dir die Kehle durchschnitte.«
    Das war schon eher wieder der alte Brone, und in gewisser Weise machte es das, was vorher gewesen war, umso imposanter. Brone war nicht verrückt geworden: Er musste wirklich mit Kettelsmit zufrieden gewesen sein.
    Als er Brone verließ, hatte er zwar den unwiderstehlichen Drang, Elan zu sehen, doch wenn Hendon wirklich das Haus seiner Schwester kannte, wäre es das

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