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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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heulen begann. Die Sonne war hell, und sein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn ein Steinmetzmeißel gespalten. Die Leute um ihn herum waren zurückgewichen, und viele beäugten ihn ängstlich — er musste wieder vor sich hin geredet haben.
    Vo senkte den Kopf und ging los.
    Sie hatte ihn töten wollen. Dieser Gedanke half ihm weiterzugehen, wenn der Schmerz schier übermächtig wurde. Natürlich war das nicht das Schlimmste, was sie getan hatte — ja, es hatte eigentlich keine Bedeutung, außer dass es ihm eine Ermahnung war, nie wieder so nachlässig zu sein. Doch beim Versuch, ihn zu töten, hatte sie seine ganze köstliche schwarze Medizin ausgekippt, das Einzige, was das nagende Monstrum zu besänftigen vermochte, das der Autarch in Vos Innereien plaziert hatte. Jetzt wuchs die Pein in ihm von Stunde zu Stunde. Vo hatte seither andere Mittel ausprobiert, wildwachsende Heilpflanzen, die er im Wald gepflückt und gegessen hatte, und später dann, als er wieder in Dörfer und kleine Städte gelangt war, Sachen, die er sich von Apothekern und Heilern beschafft hatte, wenn möglich durch Diebstahl, wenn nötig durch Mord. Doch selbst die kundigsten dieser Provinzheiler kannten allenfalls den Namen von Malamenas Kimirs Elixier — gehabt hatte es keiner. Wenn er sich nicht ganz sicher gewesen wäre, dass er sterben würde, ehe er Agamid und Kimirs Laden erreichte, hätte er sich vielleicht schon auf den Rückweg dorthin gemacht, aber so hatte er nur eine Chance, den brennenden Schmerz in seinen Eingeweiden abzustellen: Sulepis vielleicht doch noch von seiner Nützlichkeit zu überzeugen, damit er ihn von diesen Folterqualen erlöste.
    Also ging Daikonas Vo jetzt durchs Hafenviertel von Onir Beccan, dorthin, wo die Schiffe lagen, und ignorierte die hiesigen Apotheker, weil er sich weder den Zeitverlust noch die Ablenkung leisten konnte. Mit jeder Stunde wurde das Denken schwieriger. Manchmal war sein Kopf nur eine schwarze Höhle voller kreischender Fledermäuse. Manchmal krampften seine Beine so schlimm, dass er hilflos zu Boden fiel, aber er kam immer wieder hoch.
    Jemand gab merkwürdige Geräusche von sich. Knurren und Keuchen und Murmeln.
    Das war er natürlich selbst. Trotz der Schmerzen lachte Vo auf. Es war seltsam, verrückt zu sein, aber er hatte Schlimmeres durchgestanden.
    Bemüht, das schreckliche Brennen in seinen Eingeweiden zu ignorieren, beobachtete Vo das kleine Schiff, das er sich ausgesucht hatte. Ein Ladekran hievte Vorratsfässer an Deck; halbnackte Männer zogen an den Seilen und verständigten sich mit lauten Zurufen. Konnte er es schaffen? Unwahrscheinlich: Nach den vielen xixischen Soldaten an Bord zu urteilen, hatte die Armee des Autarchen die Kogge aus Wildeklyff kurzerhand beschlagnahmt, was es Vo schwermachen würde, unentdeckt an Bord zu gelangen, zumal in seinem derzeitigen Zustand.
    Erst als er widerstrebend beschlossen hatte, auf ein anderes Schiff zu warten, fiel ihm plötzlich das Schriftstück ein, das ihm dieser alte Vash einst gegeben hatte — die Vollmacht des Autarchen. Die Erinnerung fühlte sich seltsam an, als wäre das gar nicht ihm passiert, sondern jemand anderem, aber das Dokument hatte ihm gute Dienste geleistet, als er damals in Hierosol das erste Schiff requiriert hatte, und würde es vielleicht wieder tun ... wenn er es noch hatte ...
    Zum Glück war Daikonas Vo über weite Strecken des letzten Monats gar nicht klar genug im Kopf gewesen, um sich an die Öltuchtasche unter seinem Gürtel zu erinnern, also steckte sie immer noch dort. Und das Schriftstück war auch noch da, wenn auch ein bisschen verwischt nach dem ungeplanten Salzwasserbad, als er von Vilas' Boot gesprungen und an die brenländische Küste geschwommen war. Aber das Falken-Zeichen Sulepis' des Dritten war eindeutig erkennbar, und die leuchtend zinnoberrote Tinte bewies, dass es keine Kopie war, sondern ein vom Autarchen persönlich beglaubigtes Schreiben. Das wasserfleckige Dokument fest in der Hand, ging er auf die Kogge zu und ermahnte sich, nicht aufzuheulen, so heiß sich die Sonne auch anfühlen und so schrecklich das Brennen in seinen Eingeweiden auch wüten mochte.
    Der Mulasim, der Offizier, der kam, als ihn die Wachen an der Landeplanke riefen, war einer dieser alten Haudegen, die Vo zu Hunderten erlebt hatte. Während der Mulasim skeptisch die Dokumente beäugte, gafften die Soldaten hinter ihm Vo an. Vo hatte sein eigenes Spiegelbild schon lange nicht mehr gesehen, aber der Teil von ihm,

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