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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mitbekommen zu haben, dass Krieg war, geschweige denn dass das Ergebnis dieses Krieges das Ende der Welt sein konnte.
    »Ja, gewiss doch, gern. Wir haben derzeit so wenig Besucher!«, sagte der rüstige alte Mann, als er Kettelsmit in die Bibliothek der Kapelle führte. Sie befand sich im Südlichen Königlichen Kabinett, einem Gebets- und Kontemplationsraum, der zugleich als Arbeitszimmer des Hofgeistlichen diente. Es war noch kein Jahr her, dass Vater Uwin den langjährigen Hofpriester der Eddons, Vater Timoid, abgelöst hatte. »Was wünscht Protektor Tolly? Was können wir für ihn tun?«
    Kettelsmit versuchte Vater Uwin zu erklären, was er bislang herausbekommen hatte. Es war ein verwirrender Mischmasch aus Zufallsfunden, Gerüchten und bizarren Ideen. Die letzten beiden Tage war er im großen Trigonatstempel im äußeren Befestigungsring damit beschäftigt gewesen, die dortigen Bücher zu studieren (wobei er die Wege natürlich nur bei Tageslicht zurückgelegt hatte). »Ich versuche herauszufinden, warum manche Hypnologen Südmark für einen so wichtigen Ort gehalten haben.«
    »Hypnologen?« Der Priester legte den kleinen Kopf schief. Mit dem wackelnden weißen Haarbüschel auf seinem Kopf sah er aus wie ein verschrecktes Huhn. »Die Häretikersekte früherer Zeiten? Die, die glaubten, dass die Götter schlafen? Warum interessiert sich Reichshüter Tolly für so etwas?«
    Diese Diskussion wollte Kettelsmit beenden, noch ehe sie begann. »Das muss er Euch selbst sagen, Vater. Meine Aufgabe ist es nur, das zu tun, was er mir aufträgt.«
    »Gewiss, gewiss.« Uwin putzte seine Augengläser, die an einem scherenförmigen Gestell um seinen Hals hingen, und hob sie dann an die zusammengekniffenen Augen. »Da steht Clemon — ich glaube, er hat über sie geschrieben, wenn auch nur kurz. Aber das habt Ihr ja sicher schon in der Tempelbibliothek gefunden.«
    »Ja, habe ich. Ich bin hierhergekommen, weil ich auf die Erwähnung eines heiligen Steins gestoßen bin, der nach Überzeugung der Hypnologen von den Göttern selbst stammte und auf den sich ein Gutteil ihres Glaubens gründete. Rhantys meint, der Stein sei hier in Südmark irgendwo unter der Erde verschollen. Ein anderes Buch hingegen behauptet, es handle sich dabei um eine Steinstatue, die unter König Kyril hier zur Schau gestellt worden sei — in der Erivor-Kapelle! Ist Euch darüber irgendetwas bekannt, Vater?«
    »Eine Steinstatue, die den Ketzern heilig war, hier in der Kapelle?« Ihn schauderte, und er schlug ostentativ das Zeichen der Drei. »Das kann ich nicht glauben — gehört habe ich so etwas jedenfalls nie. Vielleicht könnt Ihr ja Vater Timoid danach fragen. Meines Wissens lebt er jetzt in der Universität auf der anderen Seite der Bucht ...«
    Uwin bedachte offensichtlich nicht, dass zwischen ihnen und der Ostmark-Akademie das xixische Heer lag und ein Besuch dort, gelinde gesagt, schwierig wäre, selbst wenn die Universität nicht längst von einer der Invasionsarmeen niedergebrannt worden war. »Das wird sicher nicht nötig sein, Vater. Aber ich würde gern die Bücher hier durchsehen, wenn das möglich ist. Insbesondere interessieren mich eventuelle Aufzeichnungen Eurer Vorgänger.«
    Uwin sah ihn misstrauisch an. »Die Beziehungen zwischen den Geistlichen der Erivor-Kapelle und der königlichen Familie sind streng vertraulich und die Gespräche nicht für Außenstehende ...«
    Kettelsmit hob die Hand. »Mich interessiert nur das Journal oder wie auch immer das hier heißt. Vorgänge, Erwerbungen, solche Dinge.«
    Der kleine Priester führte ihn zu einer Reihe dicker, ledergebundener Bücher. »Das sind die Eintragsbücher für die Regierungszeit König Kyrils. Viel Glück bei Eurer Suche.«
    Als Uwin gegangen war, zog Matty Kettelsmit einen Stoß dicker Bücher aus dem Regal und setzte sich damit auf den Fußboden. Er hatte Uwin nicht alles gesagt, und eins der wichtigsten Details, die er ausgelassen hatte, war die höchst sonderbare Erklärung, wie die Steinstatue in die Kapelle gekommen sei. König Kyril, so hatte er gelesen, habe den Stein den Funderlingen im Zuge eines Streits abgenommen und dann Erivor gewidmet. Aber warum? Und wieso hatten die Hypnologen und andere Abweichler geglaubt, dass die Statue überhaupt irgendetwas mit den Göttern zu tun hatte?
    Vor allem aber: Konnte diese Statue wirklich der Gottstein sein, den Hendon Tolly und der Autarch suchten? Bei diesem Gedanken überlief es Kettelsmit kalt. War es möglich, dass er

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