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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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alle so ruhig für den Kampf, als wären sie immer schon dafür gewesen.
    »Zuhören kann nie schaden«,
hatte ihr Vater immer gesagt, und hier war der Beweis: Die Soldaten des Prinzen, vor allem die Söhne stolzer syanesischer Adelsfamilien, wollten gehört werden. Briony befand, dass ein guter König (oder eine gute Königin) sich nichts dabei vergab, die Untertanen reden und sogar gegen die eigenen königlichen Wünsche argumentieren zu lassen, solange sie sie nur hinterher rückhaltlos mittrugen, wie es die Tempelhunde jetzt taten. Manchmal hatte Briony das Gefühl, in der vergleichsweise kurzen Zeit seit ihrer Flucht aus Südmark mehr über das Regieren gelernt zu haben als in all den Jahren, die sie als Prinzessin des Herrschergeschlechts dort verbracht hatte.
    Die Sonne hatte gerade erst den Mittagspunkt überschritten, als sie schon hoch in den Küstenbergen waren. Sie kamen rasch voran. Es war ein warmer, trockener Tag; Staub wirbelte um die Pferdehufe, und die Lerchen sangen. Man konnte sich gar nicht vorstellen, dachte Briony, dass es auf einer so schönen Welt so viel Schreckliches gab.
    »Morgen ist Mittsommerabend«, sagte sie zu Eneas, als sie die Pferde tränkten. »Mein Vater hat gesagt, der Autarch plane, einen Gott aufzuerwecken. Was glaubt Ihr, was er damit gemeint hat? Was wird in zwei Tagen geschehen? Der Autarch muss jedenfalls an seinen Plan glauben. Er hat Hierosol noch nicht einmal eingenommen und trotzdem sein Belagerungsheer verlassen, um hier heraufzusegeln.«
    Eneas hörte ihr zu, beobachtete aber gleichzeitig jeden vorbeikommenden Reiter, jeden Fußsoldaten. Der Prinz von Syan war dafür geboren, Männer zu befehligen, auf eine Art, die ihrem Vater bei all seinen Tugenden nicht zu eigen gewesen war. Manches an seinen Herrscherpflichten hatte Olin bestürzt und betrübt. Kendrick hatte oft gefrotzelt: »Vater ist zu gutmütig, um König zu sein. Er sollte in einer Höhle in den krakischen Bergen leben, bei all den anderen Einsiedlern und Orakeln.« Briony und Kendrick hatten sich bei diesem Gedanken vor Lachen ausgeschüttet, aber Barrick hatte es nie komisch gefunden. Jetzt erst verstand sie warum.
Wie kann der Mann, mit dem ich dort im Dunkeln gesprochen habe, das Monster sein, das Barrick hasst und fürchtet? Wie kann es sein, dass Barrick sich nach all den Jahren, die Vater so gut und freundlich zu ihm war, nur an die Augenblicke der Grausamkeit und Tobsucht erinnert ...?
    »Ich vermag Euch nicht zu sagen, was im Kopf des Autarchen vor sich geht«, sagte Eneas und riss sie damit aus ihren Gedanken. »Aber ich habe Angst.«
    Zuerst glaubte sie sich verhört zu haben. »Ihr habt
was,
Hoheit?«
    »Ich fürchte den Autarchen von Xis, wie ich keinen anderen Menschen fürchte — wie ich sonst gar nichts fürchte außer dem endgültigen Urteil des Himmels.« Ernst schlug er das Zeichen der Drei. »Ihr wisst doch, ich habe schon gegen ihn — oder zumindest seine Männer — gekämpft, und ich habe in den letzten zwei Jahren genug von seinen Taten gehört, wenn die Überreste der Armeen, die sich ihm entgegenzustellen versuchten, an die Küsten Eions gespült wurden. Er ist unberechenbar wie eine verletzte Schlange, aber so schlau wie Kupilas selbst, und er hat ein ganzes furchterfülltes und furchtverbreitendes Großreich, das alles tut, um jeden seiner verrückten Wünsche zu erfüllen.« Er beobachtete immer noch seine vorbeidefilierenden Männer, aber sein hübsches Gesicht hatte sich verdüstert. »Aber was
sind
seine verrückten Wünsche? Das weiß niemand, Briony. Wir können nur spekulieren und warten und ... Angst haben.«
    Ehe sie irgendetwas darauf antworten konnte, kam Graf Helkis den bewaldeten Hang herabgesprengt. Er trieb sein Pferd in engem Zickzack zwischen den Bäumen hindurch, offensichtlich brachte er eine wichtige Nachricht.
    »Guter Miron, ist alles in Ordnung?«, fragte Eneas. »Nein, lasst die Verbeugungen, sprecht? Warum die Eile?«
    »Hoheit, Ihr müsst kommen. Die Späher sagen, das Lager steht unter Angriff!«
    »Welches Lager?«, fragte Eneas, während Brionys Herz bereits zu pochen begann.
    »Das
xixische
Lager, Hoheit. Die Männer des Autarchen! Sie stehen unter Angriff!«
    »Von wem? Woher?«
    »Kommt und sprecht mit Belett und den anderen Spähern«, drängte ihn Helkis.
    Eneas schwang sich bereits in den Sattel, ohne auf die Hilfe seines Reitknechts zu warten, mit einer Leichtigkeit, als wäre sein Kettenhemd nicht schwerer als Leinen. Briony merkte, dass

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