Das Herz
hatte seine eigene Mission und konnte unmöglich rechtzeitig zurück sein, um etwas anderes zu versuchen.
»Werdet Ihr meinem Volk Funderlingsstadt zurückgeben, wenn Ihr siegt? Tollys Leute haben unsere Stadt besetzt.«
Briony lächelte. »Ohne jedes Zögern. Darauf habt Ihr mein Eddon-Wort.«
»Dann werde ich für Euch tun, was ich kann. Darauf habt Ihr
mein
Blauquarz-Wort.«
Ihr Lächeln wurde ein wenig traurig. »Wie es scheint, haben wir beide einem großen Namen gerecht zu werden, Meister Chert.«
Es war dunkel, als sie im Bereich zwischen der Neuen Mauer und der alten Äußeren Ringmauer anlangten, einem Gewirr von engen Gässchen, wo nur die Ärmsten wohnten, weil hier zu beiden Seiten die Mauern so hoch aufragten, dass selbst im Sommer höchstens ein, zwei Stunden am Tag Sonne hereinfiel. Chavens Observatorium jenseits der Neuen Mauer war nicht zu sehen, aber über ihnen reckte sich der Frühlingsturm in den Himmel. Chert nahm an, dass Tolly in der Turmstube eine Wache postiert hatte, war sich aber ziemlich sicher, dass sie zu nah am Fuß des Turms waren, als dass man sie von dort oben sehen konnte.
»Trotzdem sollten Eure Männer leise sein«, flüsterte er Briony zu. »Stein wirft Geräusche manchmal anders zurück als man denkt.«
Er führte sie durch ein winziges Gässchen und in ein leerstehendes Haus ganz am Ende, wobei er betete, dass er sich richtig erinnerte und hier wirklich der Geheimgang herauskam, den er manchmal benutzt hatte, um Chavens Haus zu verlassen, wenn er noch im oberirdischen Südmarksburg bleiben wollte. Umso befriedigender war Brionys überraschtes Gesicht, als er die Falltür freilegte, die unter etwas versteckt war, das wie Baustellengerümpel aussah.
Chert führte die Prinzessin und ihre Soldaten eine Treppe zu einem Gang hinunter. Kurz darauf standen sie vor der Kellertür des Observatoriums. Einer der Soldaten hob die Klinke auf der Innenseite mit seinem Messer an, dann waren sie drinnen.
Chert betrachtete die Wandbehänge und musste daran denken, wie er sich hier mit Chaven vor Hendon Tolly und Bruder Okros versteckt hatte. Wie lange das her schien! Briony sah sich ebenfalls um, als hätte auch sie ihre Erinnerungen. »Und das hier gehört wirklich zu Chavens Haus?«, flüsterte sie. »Unglaublich!«
»Als ich das letzte Mal hier war, waren Wachen im Haus«, warnte Chert.
Und so war es auch jetzt. Als die Syanesen einen Treppenabsatz im Erdgeschoss erreichten, prallten sie förmlich mit einem Wachsoldaten zusammen, der wohl gerade einen kleinen Ausflug zum Abtritt gemacht hatte. Der Mann fuhr mit dem Speer auf Chert los und hätte den Funderling um ein Haar aufgespießt wie ein Mastferkel, aber Brionys Soldaten konnten ihn niedermachen, ehe er dazu kam, einen Alarmruf auszustoßen.
»Tolly-Farben«, sagte sie leise, als sie den Toten mit dem Fuß untersuchte. »Ein widerwärtiger Anblick. Er begegnet mir überall, seit ich wieder hier bin.«
Ansonsten trafen sie auf dem Weg durchs Observatorium niemanden. Chert führte Briony und ihre Männer nicht zur Vordertür hinaus, sondern in ein Untergeschoss und zu einem weiteren Geheimnis des Observatoriums, einem engen Gang, der im Keller eines kleinen Gebäudes innerhalb der Hauptburg endete, ein ganzes Stück vom Haus des Hofarztes entfernt. »Dass ich den Gang hier kenne, weiß nicht mal Chaven«, sagte Chert. Er erwähnte nicht, dass Flint diese Entdeckung bei einem ihrer Besuche gemacht hatte.
»Unsere ganze Burg ist untertunnelt, das ist ja wie ein Kaninchenbau!«, sagte Briony verblüfft. »Ist nicht beleidigend gemeint, Meister Blauquarz, ich dachte nur, mich könnte nichts mehr überraschen.«
»Wir sind keine Kaninchen«, sagte Chert. »Aber wir sind klein, und wir graben gern.«
»Versteht mich nicht falsch«, antwortete sie. »Gerade jetzt bin ich sehr froh über meine Funderlingsuntertanen und ihre Lust am Graben!«
Die Straßen der Hauptburg waren praktisch leer — was seltsam war, so kurz vor Mittsommer, wo sie normalerweise voller feiernder Menschen gewesen wären —, doch auf den Haupttürmen waren jeweils etliche Soldaten postiert, selbst im zerstörten oberen Teil des Wolfszahnturms.
»Mit Verlaub, Hoheit, ich muss jetzt gehen«, sagte Chert, als sie am Tunneleingang im Observatorium standen. Brionys Männer hatten ihre Fackeln ausgetreten und warteten auf den Stufen auf sie.
»Gehen? Ich hatte auf Eure weitere Hilfe gehofft, Chert Blauquarz.« Die Prinzessin klang nicht erfreut, und er
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