Das Herz
nahm er nur etwas aus dem Knoten, hielt es ins immer noch blasse Morgenlicht und streckte es Rafe entgegen, als wollte er es ihm anbieten. Rafe starrte es verblüfft an. Es war ein Goldstück, so groß wie das Auge eines Monsterkraken.
»Ihr meint, Ihr wollt mir das da geben«, sagte er schließlich. Selbst für ihn klang es ein bisschen atemlos. »Wenn ich Euch zur Burg rüberbringe. Da rüber.« Er zeigte hin. Die vermummte Gestalt sagte nichts und nickte auch nicht, reckte ihm nur wieder die Münze entgegen. »Na gut, wenn Ihr meint. Aber denkt dran — ich hab ein Messer!« Er langte hinab und hob sein Fischermesser hoch. »Also keine Tricks, oder Ihr werdet's bereuen.«
Es dauerte seine Zeit, den Fremden ins Boot zu kriegen. Der Mann war ein Krüppel oder bewegte sich jedenfalls wie einer: Seine Gliedmaßen wirkten so steif und spröde wie Eiszapfen. Doch schließlich saß er, und Rafe nahm das Goldstück. Die verbundenen Hände des Fremden waren dreckig, aber die Münze selbst war aus echtem, glänzendem Gold und wunderschön. Sobald die Zahlung getätigt war, ließ der Fremde das Kinn auf die Brust sinken, sodass sein Gesicht ganz von der Kapuze verhangen war, und schien sofort einzuschlafen.
Rafe paddelte, was das Zeug hielt, um drüben zu sein, ehe die Sonne zu hoch über die Hügel stieg. Er musste eine Stelle suchen, um diesen reichen Irren abzusetzen, und dann machen, dass er nach Hause kam. Aber selbst wenn sein Vater etwas merkte und ihn verprügelte — was kümmerte es ihn, er war ja jetzt reich? Er konnte Ena nicht nur eine Halskette kaufen, sondern außerdem noch das prächtigste Kleid, das die Lagune je gesehen hatte, mit mehr Muscheln darauf, als Sterne am Nachthimmel standen.
Es war seltsam, wie die Stunden dahinschlichen, wenn einem die Freiheit genommen war. Qinnitan ging auf, dass sie einen Großteil ihres Lebens irgendwo gefangen gewesen war, zuerst im Bienentempel, auch wenn man sie dort gut behandelt hatte, dann im Frauenpalast. Und schließlich, nach einer kurzen, berauschenden Zeit der Freiheit in Hierosol, war sie diesem Ungeheuer Daikonas Vo in die Hände gefallen. Sie hatte es zwar geschafft, selbst ihm zu entkommen, doch die Götter wollten offensichtlich nicht, dass sie frei war, also saß sie jetzt, trotz all ihrer Anstrengungen, Wagnisse und Opfer, hier in diesem Käfig, als todgeweihte Gefangene des gefährlichsten Irren der Welt.
Sie versuchte, eine weniger schmerzhafte Position zu finden, eine bequeme gab es nicht, wenn einem die Arme im Rücken gefesselt waren. Um sie herum gingen die Lakaien des Oberpriesters aus und ein; sie schenkten Qinnitan so viel Beachtung wie einem Möbelstück oder den Überresten einer Mahlzeit.
Nein,
dachte sie,
wie einem Opfertier.
Ihr Leiden interessierte diese Männer weit weniger als ihre Rolle bei dem bevorstehenden Ritual.
Aber welchem Ritual? Was hatte der Autarch mit ihr und dem armen Nordländerkönig Olin vor? Sie hatte auf jedes Wort gelauscht, das in ihrer Nähe gesprochen worden war, vor allem von diesem aufgeblasenen alten Monster Panhyssir, doch was der Autarch plante, ahnte sie immer noch nicht.
So fest entschlossen sie auch war, keinen Laut von sich zu geben, konnte sie doch ein verzweifeltes Stöhnen nicht unterdrücken, als der Trank der Priester zu wirken begann. Oh, bei den Bienen des Nushash, da war es wieder — dieses grässliche Feuerknistern, das durch ihren ganzen Körper ging wie ein langsamer Blitz. In ihrer Erinnerung war das Zeug, das Panhyssir »Sonnenblut« nannte, zu einer der vielen Demütigungen verblasst, die sie im Frauenpalast erlitten hatte, aber jetzt musste sie es wieder durchleben, dieses scheußliche Gefühl, die schrecklichen Gedanken, die ihren Kopf füllten. Sie spürte, wie ihr Mund sich zu einem stummen Schrei öffnete, wie ihre Finger sich krümmten und verkrampften, bis sie ihr zerschlissenes Gewand nicht mehr zusammenhalten konnte. Qinnitan sah sich zu Boden sinken, als beobachtete sie es aus weiter Ferne, dann kippte die Welt weg, und da war nur noch das Schwarz ihrer geschlossenen Lider.
Bumm. Bumm. Bumm.
Es war das langsame Pulsen ihres eigenen Bluts, des heißen, roten Stroms, der jetzt, dank des Tranks der Priester, das heilige Blut des Gottes selbst imitierte. Sie fühlte, wie er sich träge durch ihren Körper wälzte, sie ausfüllte wie geschmolzenes Silber eine komplizierte Form, bis alles an ihr spannte und vibrierte, ausgegossen mit dem tödlichen, überhitzten Sonnenblut.
Und
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