Das Herz
dreckverschmiert.
»Nur einer?«, fragte die Frau. Chert war sich sicher, sie schon mal irgendwo gesehen zu haben. »Ihr habt so lange gebraucht und bringt mir nur einen einzigen? Was ist, wenn er es nicht weiß?«
»Es sind keine rausgekommen!«, wehrte sich einer der Männer, dessen Akzent nicht ganz so stark war. »Ihr habt's doch gesehen, Hoh... ich meine, edles Fräulein. Tollys Männer haben alles abgeriegelt und heute niemanden durchgelassen. Aber eben hat jemand den Kallikan eine Kanonenkugel an die Haustür gedonnert, und der da ist rausgerannt, also haben wir ihn geschnappt.«
»Funderlinge. Hier in Südmark heißen sie Funderlinge, Stephanas, nicht Kallikan.« Sie musterte wieder Chert. »Habt keine Angst«, sagte sie. »Hoffentlich waren sie nicht grob zu Euch. Es sind rauhe Kerle, aber ich habe ihnen befohlen, behutsam zu sein.«
»Getan haben sie mir nichts ... aber ich kann nicht behaupten, dass sie's mir überlassen hätten, ob ich mitkommen will oder nicht.«
»Nein, haben sie nicht. Weil ich Eure Hilfe brauche, und zwar dringend.«
Und da wusste er plötzlich, wer sie war, und die Worte brachen einfach aus ihm heraus. »Felsriss und Firstenbruch! Was immer Ihr wünscht, Prinzessin Briony. Ich stehe zu Euren Diensten. Es tut gut, Euch wieder zu Hause zu sehen.«
Ihre Augen verengten sich. »Es ist noch nicht wieder mein Zuhause. Wer seid Ihr?«
»Chert Blauquarz. Wir sind uns schon mal begegnet, an dem Tag, als Euer Bruder den Drachen getötet hat. Ihr ... Ihr hättet mich beinah über den Haufen geritten.«
»Barmherzige Zoria, ich erinnere mich! Das wart Ihr?« Sie lachte und war einen Moment lang wieder das junge Mädchen, das er damals gesehen hatte. »Meint Ihr das ernst? Dass Ihr mir helfen wollt?«
Er zuckte die Achseln. »Natürlich. Euer Vater ist unser König, Hoheit. Kommt er auch zurück?«
Der Mund des Mädchens wurde ein harter Strich. »Wenn es nach mir geht, ja. Aber im Moment ist er irgendwo unter unseren Füßen, als Gefangener der Xixier.«
Cherts Magen krampfte sich zusammen, und er musste ein Stöhnen unterdrücken. »Über die Xixier weiß ich schon mehr als mir lieb ist, Hoheit! Sie haben sich an Funderlingsstadt vorbeigewühlt und nagen sich zu unseren heiligen Mysterien durch wie Würmer durch einen Apfel. Ich helfe Euch nur zu gern, diesen Südländern eins zu verpassen — sagt mir einfach, was ich für Euch tun kann.« Doch noch während er diese kühnen Worte sprach, war da in seinem Kopf Opalias Stimme:
»Hör auf, vor den Großwüchsigen anzugeben, Chert Blauquarz. Du hast deine eigenen Sachen zu tun, und die Zeit verrinnt!«
»Nun ja, im Augenblick kämpfen diese Männer und ich noch nicht gegen die Xixier ...« Die Prinzessin machte ein Gesicht, als wollte sie, es wäre anders. »Mein Feind ist in nächster Nähe — Hendon Tolly. Aber der Prinz von Syan und ich können keine Männer in die Hauptburg schaffen, weil die Mauern zu stark sind. Mein eigener Familiensitz trotzt mir?« Ihr Lachen war bitter.
»Und was kann ich da tun?«, fragte er, aber es dämmerte ihm bereits.
»Ich wollte einen Funderling, Chert — irgendeinen. Ich wusste nicht, dass Ihr das sein würdet. Ich brauche eine Möglichkeit, in die Hauptburg zu gelangen, und zwar schnell.« Sie fixierte ihn mit überraschend festem Blick. »Ihr seht, ich habe einiges gelernt. Ich bin nicht mehr das einfältige Geschöpf, das ich war, als ich noch hier gelebt habe. Ich habe die Kallikan von Tessis kennengelernt, Eure Verwandten, und herausgefunden, dass sie Geheimnisse vor ihrem Herrscherhaus haben. Ich bin sicher, ihr Funderlinge habt ebenfalls Geheimnisse vor meiner Familie.«
»Geheimnisse ...«
»Wege unter der Burg vielleicht. Unterirdische Gänge. Geheimtüren? Dinge, von denen die Großwüchsigen — so nennt ihr uns doch? — nichts wissen sollen? Aber jetzt
muss
ich es wissen, Chert Blauquarz. Wie bekomme ich genügend Männer in die Hauptburg, um das Tor zu öffnen und den Rest unserer Soldaten einzulassen?«
Es war ein Moment der Entscheidung, so viel war klar. Sie fragte nach Sturmsteins Straßen, wenn sie auch nicht wusste, dass sie so hießen. Alles Konservative und Vorsichtige in ihm sagte, dass das keine Entscheidung war, die er treffen konnte. Nachdem sein Volk die Existenz dieser Gänge jahrhundertelang vor der südmärkischen Herrscherfamilie verborgen hatte, gab ihm auch eine Ausnahmesituation wie diese nicht die Autorität, über eine solche Bitte zu befinden. Aber er
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