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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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... die Letzte Stunde des Ahnherrn, die tief in den alten Zeiten die Tür zu seinem Haus war . . . die Zeichen sind so klar, dass nicht einmal ein Idiot sie übersehen könnte . . . aber warum . . .?«
    »Wer ist da?«, rief Opalia.
    Kurz war es still, dann kam zur Antwort:
»Ich bin's, Mama Opalia.«
    »Flint? Was machst du, Junge?« Sie beugte sich über die Kante der schmalen Pritsche und tastete nach dem Glimmstein. Sobald sie ihn in der Hand hielt, glomm er schwachrosa und gab gerade so viel Licht, dass sie den Raum erkennen konnte. Zu ihrer Bestürzung stand Flint nicht im Nachthemd vor ihr, sondern in Kleidern und Stiefeln und mit einem Tuchbeutel in den Händen.
    »Was in der Welt des Steins machst du da? Was willst du mit dem Beutel?«
    »Ich wollte nur was zu essen reintun. Ein bisschen Brot und ein paar Winterpilze.«
    »Was ...? Oh, verstehe, du gehst irgendwohin oder bildest es dir zumindest ein.« Sie sprang aus dem Bett und stellte sich zwischen ihn und die Tür des Dormitoriums, in dem sie schliefen. »Aber ich lasse dich nicht weg.«
    Flint sah sie ruhig und ernst an. »Ich muss, Mama Opalia. Bitte lass mich gehen.«
    »Wohin?
Warum tust du uns das an, Junge? Mir? Waren wir nicht immer gut zu dir?«
    Er zuckte gequält zusammen, was sie überraschte. »Doch. Ihr wart so gut zu mir wie sonst keiner! Ich laufe nicht weg, Mama Opalia, und ich mache auch keine Dummheiten. Mir ist nur gerade klargeworden, dass da etwas ist, das ich tun muss ... Es ... es ist mir eingegeben worden.«
    »Was ist dir eingegeben worden?«
    »Ich ... ich kann's dir nicht sagen. Weil ich es selbst nicht ganz weiß. Aber ich weiß, wo es anfängt, und das ist wichtig. Ich muss gehen.«
    Opalia war am Verzweifeln; ihr Ärger wich jetzt Angst. »Aber wohin denn? Das ist doch Unsinn, Kind! Wo willst du denn hin? Da draußen ist Krieg! Jeden Moment können die Südländer mit Schwertern und Speeren über uns herfallen. Sie werden dich töten!« Sie kam auf ihn zu, die Hände jetzt vor der Brust gefaltet. »Sag nicht solche Sachen, mein Häschen. Du gehst nirgends hin. Komm, leg dich wieder ins Bett. Schlaf — morgen früh sieht alles anders aus. Du hast geträumt, das ist alles, und der Traum kommt dir wirklich vor.«
    »Nein.« Seine Stimme war nicht kalt, aber auch nicht tröstend. »Nein, Mama Opalia.
Das
hier ist der Traum. Und ich wache allmählich auf.«
    »Warum ist Chert nicht hier!« Flint war jetzt größer als sie, aber darum ging es nicht: Ihn mit Gewalt festzuhalten, war ihr nie ernsthaft in den Sinn gekommen. Sie umschlang ihn. »Bitte, mein lieber Junge, mein Sohn, tu's nicht. Geh nicht. Ich habe schon deinen ... schon meinen Mann auf ein wahnwitziges Unternehmen fortlassen müssen ...« Tränen rannen ihr über die Wangen.
    Der Junge nahm sie linkisch in die Arme. »Tut mir leid, Mama Opalia, aber ich muss.«
    Sie beugte sich zurück und sah ihm mit gepeinigter Miene ins Gesicht. »Du bist nicht wie die anderen, hm? Es ist sinnlos, dich von etwas abbringen zu wollen, das du dir in den Kopf gesetzt hast.« Sie lachte, ein bitteres, trauriges Lachen. »Ich werde dich nie wiedersehen. Die Alten der Erde haben dich mir nur geschenkt, um dich mir wieder wegzunehmen — eine Art übler Scherz.«
    »Du wirst mich wiedersehen.« Seine Stimme war jetzt klar und fest. »Das verspreche ich dir. Und ihr habt so viel mehr getan, als ihr wisst. Ihr habt mich gerettet.«
    Sie trat von der Tür weg. »Dann geh eben. Dich und Chert konnte man ja noch nie von etwas abhalten, das ihr tun zu müssen glaubtet. Kannst du mir wirklich nicht sagen, wo du hinwillst?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber ich werde es bald wissen. Sei tapfer, Mama.«
    Sie hatte den Glimmstein längst weggelegt; ohne den Kontakt mit ihrer Hand und ihrem pulsenden Blut war er nahezu erloschen. Nur ein winziger Rosaschimmer lag noch auf Flint, als er die Tür zum Flur öffnete und in das hallende Dunkel hinaustrat.

    Die letzten Tage hatte Qinnitan nur ferne Kampfgeräusche gehört, als ob irgendwo in den endlosen Felstiefen zwei Geisterheere eine uralte Schlacht wieder und wieder austrügen. Manchmal allerdings, in großen Kavernen, brachen die Schreie und das Gebrüll unerwartet über sie herein, herangetragen von den unberechenbaren Luftströmen, die durch die labyrinthischen Gänge wehten, und einen schrecklichen Augenblick lang schien es, als stürben Kämpfer nur wenige Schritt weiter, gleich hinter der nächsten Biegung. Sie

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