Das Herz

sprang auf die Kreatur zu und machte mit den gekreuzten Dolchen eine schnelle Bewegung wie mit einer Schere. Die Erscheinung wallte zurück wie Rauch, strömte dann wieder auf sie ein und krallte mit einer Fetzenklaue nach ihr. Chert schlug mit der Fackel nach dem Arm der Kreatur, aber das brennende Ende glitt einfach durch den Schatten hindurch; das formlose Etwas wandte sich ihm zu, und das Dunkel seines Gesichts schien die Augen zu füllen. Chert wurde weggeschleudert. Er krachte mit dem Kopf an die Felswand auf der einen Seite des Wegs. Die Fackel flog ihm aus der Hand, kullerte auf die Wegkante zu, blieb kurz davor liegen; die Flammen zuckten und erloschen fast, loderten dann wieder auf Chert versuchte aufzustehen, aber alles um ihn herum schwankte, was nicht nur am unsteten Flammenschein lag. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er voller Bienen, und seine Beine waren taub.
Alte der Erde,
dachte er,
ich darf nicht sterben, nicht so, nicht am Rand eines Kampfs, den andere kämpfen, und fern von Opalia
    Das wehende, flackernde Ding, das vorhin gesprochen hatte, wirbelte um Briony herum wie Nebel, wich, wenn sie ihre Klingen schwang, gerade eben aus ihrer Reichweite, als wollte es sie verspotten.
    »Komm nah genug her, dass ich dich töten kann, Feigling!«, stieß sie keuchend hervor. »Königin Saqri hat geschworen, dass ihr auf unserer Seite kämpfen würdet.«
    »Saqri spricht nicht für uns — und eine Sterbliche kann keinen Elementargeist töten«,
sagte das Etwas hämisch.
»Ich bin Kessel des Schattens, und mein Tod steht im Buch erst für einen Zeitpunkt geschrieben, da du längst Staub sein wirst. Außerdem wollte ich mich nur ein bisschen amüsieren, bis wir unsere Aufgabe vollenden können. Schwestern? Habt ihr dem Dieb unser kostbares Gut wieder abgenommen?«
    Die beiden anderen Schatten lagen über dem Halb-Qar Kayyin wie schwarze Decken, doch auf Kessel des Schattens' Frage hin flatterten sie auf. Ihr überlappendes Dunkel hielt einen großen, gelb glimmenden Stein, in dem es wolkig brodelte.
»Wir haben es«,
verkündeten sie, und es waren ihre Gedanken, die Briony verstand, keine Worte.
    »Yasammez ist seine Mutter«,
rief eine der Kreaturen.
»Sie muss ihm von dem Ei erzählt haben.«
    »Nein«,
sagte die andere.
»Er hat es in ihrem Denken gesehen.«
    »Dann nehmt es«,
rief die Kreatur, die sich Kessel des Schattens nannte.
»Woher er es weiß, spielt keine Rolle!«
Der Elementargeist wedelte mit einem zerfransten Fortsatz, und Briony wurde zu Boden geschleudert. Die Messer fielen ihr klirrend aus den Händen. Kessel des Schattens wehte davon wie Nebel und formte sich einen Herzschlag später mitten über dem Abgrund wieder, jetzt mit dunklen Flügeln schlagend wie eine riesige, glühäugige Fledermaus.
»Nehmt das Ei, Schwestern, und lasst es auf harten Stein fallen. Zerbrecht es, damit es Tod verströmt. Tod all diesen warmen, fleischigen Kreaturen!«
    Alle drei Schattengestalten flogen so schnell empor, als trüge sie heulender Wind davon. Nur das Glimmen ihrer Augen und der gespenstische Lichtschein des Eis sagten Chert noch, wo sie schwebten.
    »Die körperlosen Gedanken der Tiefen Bibliothek haben uns geholfen, es zu erschaffen, aber sie hatten nicht den Mut, es zu benutzen! So wenig wie Yasammez — am Ende starb sie so feige wie Ynnir der Verräter. Aber wir sind anders — wir sind die Garde der Elementargeister!«
Die Selbstsicherheit in der zischenden Stimme der Kreatur presste Cherts Innereien zusammen wie eine eisige Hand.
»Wir haben es in unserem dunkelsten Garten gehegt und es noch mächtiger gemacht, als selbst Yasammez sich hätte träumen lassen.«
    »Das Ei darf nicht zerbrochen werden«, krächzte eine schwache Stimme. Kayyin stand wacklig auf, so nah bei Chert, dass der ihn fast berühren konnte. »Wenn die Fieber schlüpfen, vernichten sie nicht nur alles, was in der Burg ist, sondern kriechen noch jahrelang auf der Erde umher, bis nichts Lebendes mehr übrig ist«, sagte der Halbzwielichtler.
    »Ja!«,
rief Kessel des Schattens triumphierend.
»Unsere Kinder werden unter dem Mond tanzen und all die leeren Lande und Meere für sich allein haben ...!«
Ihre Stimme schwoll zu Sturmgeheul.
»Werft das Ei hinab, Schwestern, und säubert diese besudelte Erde wieder ...!«

    »Das sind
meine
Gefangenen.« Inmitten all der Toten und Kaum-noch-Lebenden in der Höhle wirkte der Autarch, als sei er gerade von anderswo hereinspaziert. Sulepis hatte keinerlei Verbrennungen und war