Das Herz
Geräusch von hinter ihnen kam: Jemand eilte von der Oberfläche herab.
»Wer ...?«, konnte Briony gerade noch sagen, ehe eine dunkelhaarige, junge Frau im Schein von Cherts Fackel erschien: Obwohl sie selbst kein Licht dabeihatte, lief sie sehr schnell. Sie schien Chert und Briony gar nicht wahrzunehmen, rannte einfach nur an ihnen vorbei und verschwand im Dunkeln. Kurz hörten sie noch ihre schnellen Schritte, dann war es still.
»Bei allen Göttern, was war das?«, sagte Briony mit weit aufgerissenen Augen. »Wie kann sie sehen, wo sie hintritt? Und warum rennt sie da hinunter, geradewegs ins Dunkel?«
»Ich ... ich kenne sie«, sagte Chert. »Dieses Mädchen kenne ich.«
Briony hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt. »Was soll das heißen? Das war keine Funderlingsfrau — sie war fast so groß wie ich!«
»Ich bin ihr schon mal begegnet — habe mit ihr gesprochen. Sie heißt Willow. Ich glaube, sie ist ein bisschen verwirrt, aber sie hat mich einmal zu einem der Qar geführt ...«
»Willow? Die kenne ich auch. Hauptmann Vansen hat sie aus den Landen im Westen mitgebracht — sie sei hinter der Schattengrenze umhergeirrt, hat er gesagt.« Sie ging etwas schneller. »Aber warum rennt sie ohne ein Wort an uns vorbei in die Tiefen? Und wie kann sie in dieser Finsternis irgendetwas sehen?«
Darauf hatte Chert keine Antwort. Er wusste nicht, warum das Mädchen hier unten war. Er wusste ja nicht mal, warum er selbst noch hier war.
Diesmal hörten sie Willow erst in dem Moment, da sie aus dem Dunkel vor ihnen stürmte und auf sie zugerannt kam, als hätten Chert und die Prinzessin für sie eben erst sichtbare Gestalt angenommen. »Rettet ihn! Sie werden ihm etwas tun! Bitte, sie sind zu stark für ihn!« Sie warf sich ohne Rücksicht auf ihre eigenen Knie vor Briony hin und umschlang die Stiefel der Prinzessin. »Rettet ihn — meinen Kayyin!«
»W-was? Wen ...?«, stammelte Briony, aber die junge Frau rappelte sich schon wieder auf, packte die Prinzessin am Arm und versuchte sie mit sich zu ziehen.
»Kommt! So kommt doch! Die Kreaturen aus Feuer und Wind werden ihn töten!«
Briony ließ sich ins Dunkel davonziehen. Chert hastete hinterher. Irgendwo vor ihnen hörte er Stimmen; eine klang mehr oder weniger menschlich, aber andere heulten und pfiffen wie Wind.
Sie kamen an eine Stelle, wo sich der Weg verbreiterte, und erblickten dort einen hochgewachsenen, schlanken Mann, der irgendeinen schrecklichen Anfall zu haben schien: Er schlug um sich und schwankte wie ein Baumschössling im Wind. Aber nein — er kämpfte mit Schatten, erkannte Chert gleich darauf, Schatten, die mit Händen wie zerschlissene, wehende Vorhänge nach ihm griffen.
»Helft ihm!«, schrie das Mädchen.
Briony zögerte nur kurz, rannte dann, in jeder Hand einen Dolch, auf den bizarren Kampf zu. Chert konnte ihr nur hinterherstarren und wieder staunen, was aus dem jungen Mädchen geworden war, das er auf der Beisetzung gesehen hatte. Wann hatte sie sich in dieses Wesen aus Draht und Stahl verwandelt?
Aber das nützt ihr nichts — diese Schattendinger werden sie töten.
Da rannte auch Chert los, schwang seine Fackel und versuchte, aus seiner engen Kehle ein furchterregendes Brüllen hervorzustoßen, was ihm jedoch nicht gelang.
Den Halbzwielichtler umhüllte eine zerfledderte Masse von Dunkel, aus der Licht hervorsickerte wie aus einer abgeschirmten Laterne. Als Briony näher kam, löste sich eine der Kreaturen von Kayyin und schwebte auf sie zu wie jemand in einem windgeblähten Mantel. Nur die Augen hatten Farbe, glitzerten wie grüner Granat.
»Das sind alte Klingen, die du da hast«,
sagte das Wesen. Die seufzende Stimme schien aus allen Winkeln des Dunkels jenseits des Fackelscheins zu kommen.
»Metall von einem gefallenen Stern. Sie haben sogar einst welche von uns verwundet, und uns auch nur zu ritzen, ist nicht leicht.«
Die Augen flackerten kurz auf
»Aber verwundet ist nicht vernichtet — und du bist keine mächtige Kriegerin, Mädchen.«
Briony hatte sich nicht irritieren lassen; beide Klingen vor sich haltend, bewegte sie sich in einem weiten Bogen, versuchte, das Etwas von Kayyin und den anderen schwarzen Schemen wegzulocken. »Du sagst nur, dass du verwundbar bist, Dämon.« Ihre Stimme klang angespannt, aber erstaunlich fest. »Das ist alles, was ich wissen muss. Ich habe gerade meinen niederträchtigsten Feind mit eigenen Händen getötet, also komm her — wir werden ja sehen, wer Sieger bleibt?«
Briony
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