Das Herz
sie am Haupttor von Funderlingsstadt empfangen hatte.
»So gut wie gestellt, Prinzessin. Wie mir gemeldet wurde, hat man sie in den Steinbruch am Rand der Stadt getrieben. Es wird bald vorbei sein.« Helkis hatte offenbar beschlossen, sie jetzt, da so gut wie sicher schien, dass sie seinen Prinzen heiraten würde, doch lieber respektvoll zu behandeln. Briony war sich zwar nicht sicher, wie sie zu der dahintersteckenden Logik stand, aber das Ergebnis war angenehm. »Krey kennt sich in diesen Gängen nicht aus, aber dieser Vansen offenbar, und er hat ja auch die Unterstützung der Kallikan.«
»Vansen ist ganz schön engagiert«, sagte sie. So engagiert, dass sie ihn nicht mehr gesehen hatte, seit er wieder auf die Beine gekommen war. Der Gardehauptmann und ihr Bruder — allmählich fühlte sie sich gezielt gemieden.
Hasst mich Vansen?,
fragte sie sich.
Fürchtet er mich? Oder bin ich ihm und Barrick einfach gleichgültig, wie es mir mein Bruder beim letzten Mal deutlich genug signalisiert hat?
Die Funderlinge, die ins Herz ihrer Stadt zurückgekehrt waren, kamen aus den Häusern, als Briony die Edelsteinstraße entlangging; ein paar jubelten ihr zu, die übrigen jedoch beobachteten sie stumm, zwar fasziniert, aber beunruhigt. Offenbar waren die Funderlinge auch nicht gerade froh über ihre Anwesenheit.
»Ich möchte Chert Blauquarz sprechen«, sagte sie zu Helkis. »Würdet Ihr die Funderlinge bitten, ihn zu mir zu schicken?«
»Wie Ihr wünscht, Hoheit.« Er schickte einen Boten zur Zunfthalle am anderen Ende der langen, gewundenen Straße, an der die Beseitigung der durch die Kämpfe vor Kreys Rückzug entstandenen Schäden bereits begonnen hatte. »Niemand würde Euren Ruf missachten, Prinzessin, das kann ich Euch versichern.«
Außer denen, die ich wirklich sehen will,
dachte sie.
Aesi'uah kam heraus, um sie vor der Höhlenkammer zu empfangen, und obwohl das Gesicht der Qar-Frau die übliche Gelassenheit zeigte, hatte Briony doch das Gefühl, dass die Eremitin nervös war. »Er erwartet Euch, Prinzessin Briony.« Aesi'uah deutete mit ihren langfingrigen Händen auf den Durchgang und das flackernde Licht dahinter, trat dann diskret beiseite.
»Er ist mein Bruder«, sagte Briony, als Helkis und seine Wachen sie begleiten wollten. »Was auch immer ansonsten geschehen sein mag, ich bin mir sicher, dass er für mich keine Gefahr darstellt.«
Graf Helkis schien es nicht zu behagen, so nah bei Aesi'uah stehen zu müssen, aber entfernen wollte er sich auch nicht; Briony überließ es den beiden, eine Lösung zu finden.
Ihr Bruder stand an einem Tisch aus zwei aufeinandergelegten Steinblöcken, wo er eine Menge Schiefertafeln und Pergamente ausgebreitet hatte. Er hatte seine Rüstung abgelegt, trug jetzt lediglich ein loses weißes Hemd und ebenfalls weiße Kniehosen. Er war barfuß, und für einen Moment erlag sie der Illusion, das letzte Jahr wäre gar nicht gewesen, sie käme aus ihrem Schlafgemach und er, schon früher aufgestanden, warte im Nachthemd auf sie wie so oft in ihrer Kindheit. Dann sah er auf, und die sonderbare Kälte auf seinem Gesicht bewies, dass diese unschuldigen, überwiegend glücklichen Tage für immer vorbei waren. »Briony«, sagte er ruhig. »Du wünschst mich zu sprechen, sagte man mir.«
Sie musste sich zum Sprechen zwingen. Sie wollte hinrennen und ihn umarmen oder auch schlagen — nur irgendwie diesen Ausdruck von seinem Gesicht vertreiben. Doch stattdessen nickte sie. »Ja, das schien mir eine gute Idee ... da du ja nicht zu mir kommen wolltest.«
»Verzeihung«, sagte er wie zu einer Fremden, der er auf den Fuß getreten war, »aber das ist nicht so leicht. Meine Leute ... nun ja, sie hassen deine. Das macht es schwierig. Sie haben immer noch Angst, und viele von ihnen trauen mir nicht ganz.«
»Deine
Leute? Sprichst du von Elben und Kobolden?« Briony merkte, dass sie ihn fast schon anschrie, konnte es aber nicht ändern. »Du nennst diese Wesen jetzt deine Leute, aber deine eigene Schwester willst du nicht sehen? Du willst dich nicht mal von deinem toten Vater verabschieden, ehe er beigesetzt wird?«
Er drehte sich um, als wollte er sich wieder dem Studium seiner Tafeln und Papiere zuwenden. »Natürlich verstehst du das nicht.«
Konnte dieser große, flammenhaarige Fremde wirklich Barrick sein? Oder hatten die Qar ihn durch eine Art Wechselbalg ersetzt? Gab es so etwas überhaupt, oder war das auch nur so ein Ammenmärchen? Aber derzeit schienen ja Sagen und Märchen
Weitere Kostenlose Bücher