Das Herz
Reisens ...
Das Salz war verstreut, und Sisel hatte gerade mit dem letzten Gebet begonnen, das den Geist des verstorbenen Königs führen sollte, als Ferras Vansen eine Bewegung durch die Trauernden gehen fühlte, so wie vom Wind ein Wogen durch eine Blumenwiese geht. Stimmte etwas nicht? Er sah rasch zu Briony hinüber: Sie hatte es auch bemerkt.
Eine Prozession kam die Straße zwischen Wolfszahnturm und Waffenkammer entlang; die Leute am anderen Ende des äußeren Palastgartens hatten bereits die Köpfe gedreht. Zuerst konnte Vansen nicht viel von den Ankömmlingen erkennen, da sie durch den Schatten des Turms zogen, doch als ihr Anführer in die Sonne hinaustrat, sah Vansen flammendrotes Haar. Barrick Eddon war zur Trauerfeier für seinen Vater erschienen. Der Prinz trug lose, weiße Kleider und einen weißen Kapuzenumhang, ganz ähnlich wie die Kleidung, die Vansen an Saqri gesehen hatte. Ihm wurde klar, dass Weiß die Trauerfarbe der Qar sein musste.
Er blickte wieder zu Briony Eddon hinüber, aber ihr Gesichtsausdruck war nicht zu entziffern. Barrick und die Zwielichtler, die ihn begleiteten, gingen stumm durch den Säulengang neben dem äußeren Palastgarten und traten dann kurz vor den Eingangsstufen des Palasts und dem Sarg des Königs wieder heraus. Barrick blieb stehen, so kerzengerade wie ein Wachsoldat.
Nach kurzer Verwirrung fuhr Hierarch Sisel mit dem Gebet fort. Als es beendet war, kamen die Priester mit ihren Rasseln und Flöten, um den Trauerzug anzuführen, und die Sargträger, um den Sarg auf den Wagen zu heben, der ihn zum Friedhof bringen würde. Offenbar wollten die Eddons ihre Familiengruft weiterhin benutzen, dachte Vansen, ganz egal, was dort geschehen war und was darunter lag. Doch noch ehe die Sargträger einen Schritt tun konnten, trat Barrick plötzlich vor und legte etwas auf den Sarg: einen Stengel Mädesüß und einen Mistelzweig — die Pflanzen des Waisenknaben, die für Unsterblichkeit standen. Er verharrte einen Moment am Sarg. Schmerz verzerrte sein Gesicht, und er zog die Hand — die Hand, die einst verkümmert und nutzlos gewesen war — so jäh zurück, als hätte er sich verbrannt.
Der Prinz und sein Gefolge begleiteten den Sarg nicht bis zum Friedhof, sondern bogen am zerstörten Thronsaal ab und gingen zurück zum Rabentor und zu ihrem Lager in Funderlingsstadt. Einige Leute im Trauerzug sahen ihnen nach und machten das Zeichen gegen das Böse, aber die meisten beachteten sie kaum, so als wären der Sohn des Königs und seine bizarren Gefährten einfach nur eine Gruppe von Trauernden.
Der Leichenschmaus war schon seit einer knappen Stunde beendet, und viele Gäste hatten sich bereits zurückgezogen. Eine Gruppe älterer Adliger saß jedoch noch in der langen, niedrigen Speisehalle des Palasts; sie tranken Wein und erzählten sich Geschichten über den verstorbenen König und all die Dinge, die passiert waren, seit Olin das letzte Mal auf Anglins Thron gesessen hatte. Manche äußerten sicherlich auch leise Zweifel an der Eignung der Tochter für die Nachfolge und stellten die Frage, warum ihr Bruder sich so gänzlich aus den Regierungsgeschäften heraushielt, doch Vansen ignorierte diese Gespräche, während er einige seiner verlässlichsten Garden vom Dienst in der Speisehalle abzog und in den Raum des Palasts führte, der jetzt als Brionys königliches Rückzugszimmer diente. Die Prinzessin wartete dort bereits mit sorgsam ausdrucksloser Miene. Auf Vansen wirkte dieses leere Gesicht wie eine Art Wunde: Es zu sehen, schmerzte ihn.
Als seine Männer alle im Raum waren, wandte er sich an Briony. »Soll ich den Grafen Brone holen, Hoheit?«
Sie nickte, schien ihn aber kaum zu sehen.
Zu Vansens Überraschung wartete Avin Brone schon draußen auf dem Gang — er war gekommen, während Vansen die Garden eingeteilt hatte. Der hünenhafte Mann nickte. »Schön, Euch zu sehen, Hauptmann Vansen. Ich nehme an, diesen niedrigen Rang werdet Ihr nicht mehr lange innehaben ...?«
»Bisher hat mir noch niemand etwas von einer Beförderung gesagt, Graf Brone.«
»Ach, aber Ihr werdet bestimmt belohnt. Wie ich hörte, habt Ihr hehre, mutige Dinge getan, seit Ihr wieder in Südmark seid. Es heißt, wenn Ihr nicht den Widerstand der Funderlinge organisiert hättet, wären wir jetzt alle Sklaven. Eines Tages müsst Ihr mir das alles erzählen, Vansen. Ich möchte wissen, was Ihr gesehen habt. Ich traue Euren Augen und Eurem Verstand — mehr als ich sonst irgendjemandem traue
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