Das Herz
Alles, was wir lieben und woran wir hängen, ist nur um Haaresbreite der Vernichtung entronnen — unser Königreich, unsere Stadt, unser Leben, vielleicht sogar unsere Seelen. Ich kann nicht glauben, dass so etwas ohne Grund geschieht. Und ob es nun die Götter waren, die wir verehren, oder die Alten der Erde der Funderlinge« — ein Raunen ging durch die Menge, als sie die heiligen Namen aufzählte — »Egye-Var, der Schutzherr der Skimmer, oder der Herr des Höchsten Punkts«, — sie nickte zur Lore der Dachlinge hin —, »Tatsache ist: Wir wurden gerettet, als sicher schien, dass alle sterben würden.
Wir sind hier, um jenen zu danken, die für Südmark gekämpft haben, von den Kleinsten bis zu den Größten — auf einige dieser Beiträge komme ich später noch —, aber wir sind auch und an erster Stelle hier, weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir aus dem, was geschehen ist, lernen sollten.
Wir werden vielleicht nie genau wissen, welche unsichtbare Hand das Schicksal der Bewohner dieser Burg, der Qar und der Xixier gelenkt und uns alle an diesem Ort zusammengeführt hat. Wir wissen jedoch, dass wir nur mit der Hilfe jedes Einzelnen von uns einem schrecklichen Verhängnis entgangen sind. Ich kann dieses Königreich nicht nach bestem Gewissen regieren, ohne die eindeutige Botschaft des Himmels aufzugreifen.«
Ihre Stimme hob sich. »Funderlinge! Meine Familie, die euch einst Brüder nannte, hat euch in jüngerer Zeit schlecht behandelt. Wir haben die Früchte eurer Arbeit genossen, euch aber wenig Mitsprache in euren eigenen Angelegenheiten gewährt. Das Gleiche gilt für die Skimmer. Und auch für euch Dachlinge — wobei das wohl nicht allein uns anzulasten ist, da ihr euch vor unserer Nase so gut versteckt gehalten habt, dass wir bis auf einige wenige Ausnahmen vergessen hatten, dass es euch gibt.« Schrilles Lachen kam von der Delegation auf der Lore, ein bisschen wie ein Chor von Grillen.
Dann wandte sich Briony an Aesi'uah und die übrigen kapuzenverhüllten Eremiten und Eremitinnen. »Und selbst die Qar hätten Besseres von unserer Seite verdient gehabt.« Dies löste empörtes Gemurmel unter den Adligen aus. »Wie auch wir wahrscheinlich Besseres von ihrer Seite verdient gehabt hätten«, setzte Briony hinzu, jedoch ohne Hast oder Nachdruck. »Diese Frage kann im Moment noch niemand beantworten. Was wir uns gegenseitig angetan haben, lässt sich nicht an einem Nachmittag entwirren.
Doch jetzt stehen wir vor der Aufgabe, Südmark wieder aufzubauen, von den wunderschönen Straßen und Häusern Funderlingsstadts, die durch Kanonenfeuer beschädigt wurden, bis zu der verlassenen Wüstenei, die aus Südmarkstadt geworden ist. Wir werden die Hilfe jedes Einzelnen brauchen. Also müssen wir, um wieder in Ordnung zu bringen, was Krieg und Verrat angerichtet haben, als
ein
Volk zusammenarbeiten. Es wird nicht länger einen Kronrat geben, in dem keine Funderlinge sitzen, und es wird keine Entscheidungen über südmärkische Belange mehr geben, in die nicht alle Bewohner einbezogen sind. Missversteht mich nicht!« Und Brionys Stimme hob sich erneut, als im Saal Gemurmel einsetzte. »Entscheidungen müssen auch weiterhin gefällt werden, und nicht alle werden allen gefallen. Deshalb muss die Person, die auf dem Thron sitzt, ob das nun ich bin oder ob es eines Tages einer meiner Brüder ist, genau wie bisher die Macht des Rechts hinter sich haben. Doch nie mehr wird dieses Recht ausgeübt werden, ohne dass alle Markenländer gehört worden sind.«
Die Stimmen im Saal, die schon während dieser seltsamen, unerwarteten Rede angeschwollen waren, wurden jetzt so laut, dass Vansen einen Moment lang dachte, er müsste Briony zu ihrer eigenen Sicherheit vom Podium ziehen — einige Funderlinge schrien regelrecht. Doch dann merkte er, dass der Lärm hauptsächlich von einer Gruppe jüngerer Funderlinge kam, die Hochrufe auf die Prinzregentin ausbrachten. Die meisten älteren Funderlinge waren, wie auch viele der Höflinge und Skimmer, schlichtweg sprachlos.
»Ich bin heute hierhergekommen«, fuhr sie fort, »um die Einsetzung einer neuen Versammlung zu verkünden, die den Herrscher der Markenlande beraten wird. In diesem Rat von Südmark werden alle hier lebenden Völker vertreten sein, Großwüchsige und Kleine, Trockenländer und Skimmer. Gemeinsam werden wir diesen alten Ort, der unser aller Heimat ist, der uns allen lieb und teuer ist, bewahren und beschützen ...«
Der lange Nachmittag näherte sich
Weitere Kostenlose Bücher