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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Frauen gewesen sein. Chaven hat gesagt, die Steine wirken nur bei Frauen.«
    Briony trat auf Anissa zu. »Also kann ich daraus nur schließen, dass der Autarch, der mehrere dieser Kulikos-Steine besaß und außerdem etliche Spione am Hof der Tollys in Gronefeld hatte, deiner Dienerin einen solchen Stein hat zukommen lassen. Aber warum? Auf gut Glück, für den Fall, dass sie zufällig meinen Bruder Kendrick ermorden wollte?« Schon diese Worte auszusprechen, erfüllte Briony mit rasender Wut, aber sie zwang sich, nur noch ruhiger zu sprechen. »Warum? Woher hätte er wissen können, dass Selia in seinem Sinne verlässlich und überhaupt zu so etwas in der Lage war? Es sei denn, jemand hätte sie schon vorher für diese Aufgabe
ausgewählt ...«
    Die Dienerinnen und Hofdamen wichen ein Stück zurück, und einige flüsterten nervös miteinander. Anissas Augen waren groß und rund. »Was willst du sagen? Dass ich es wusste? Das ist doch albern! Warum hätte ich Prinz Kendrick etwas tun sollen?«
    »Ich weiß es nicht sicher«, sagte Briony durch die Zähne, »aber lass mich raten. Sag mir doch eins, Anissa — ist der Mittelsmann des Autarchen schon zu dir gekommen, ehe du Devonis verlassen hast, oder erst hier in Südmark? Ich möchte wetten, dass er, auch wenn du ihn vielleicht vorher schon getroffen hattest, in dieser Sache erst an dich herangetreten ist, als du bereits hier warst und wusstest, dass du ein Kind von meinem Vater erwartetest.«
    »Was sagst du da? Ich verstehe nicht.«
    »O doch, Stiefmutter — auch wenn es mir gegen den Strich geht, dich so zu nennen —, ich glaube, du verstehst mich nur zu gut. Ich nehme an, einer der Spione des Autarchen ist zu dir gekommen und hat dir erklärt, dass das Kind, das du erwartetest, todgeweiht wäre, wenn Kendrick oder eins der beiden jüngeren Kinder — Barrick oder ich — den Thron bestiege. Er hat dir erzählt, wenn Olin in der Gefangenschaft umkäme, würden Kendrick und wir keinen Rivalen um die Thronfolge dulden. Dann würde Kendrick das Kind beseitigen lassen und dich wahrscheinlich auch. Stimmt's? War es das, was er gesagt hat?«
    »Nein! Nein!« Aber es war kein Widerspruch, nur Verzweiflung.
    Briony wurde innerlich kalt; sie wusste, sie hatte richtig geraten. »Sag die Wahrheit, Anissa. Ich bin nicht der Autarch von Xis, aber ich scheue nicht vor härteren Mitteln zurück, wenn ich nicht auf der Stelle die Wahrheit von dir erfahre.«
    »Hör auf, mir Angst zu machen!« Anissa begann zu weinen. Einen Moment lang hatte Briony schon fast Mitleid mit der hübschen, zierlichen Frau, die ihren Vater so glücklich gemacht hatte, aber dann stand wieder vor ihr, was in jener Nacht, die sie ins Exil getrieben hatte, in Anissas Schlafgemach geschehen war — wie die Dienerin Selia den Stein in den Mund gesteckt und sich in etwas Übernatürliches, Mörderisches verwandelt hatte. Briony durfte sich Kendricks letzte Augenblicke in der Gewalt dieser Monstrosität gar nicht vorstellen.
    »Wachen. In den Kerker mit ihr.«
    »Nein!« Anissa fiel jäh auf die Knie, kroch auf Briony zu und versuchte, ihre Beine zu umschlingen. Ferras Vansen trat dazwischen und verhinderte es, hob sie dann überraschend sanft in den Stand hoch. »Tu mir das nicht an, Briony!«, jammerte ihre Stiefmutter. »Ich hatte solche Angst! Er hat gesagt, sie würden mein Baby wegnehmen und morden! Er hat gesagt, ich würde nie mehr sehen meine Heimat — ich würde vergiftet sein hier in Südmark ... begraben in kalter Erde ...!« Sie weinte jetzt so heftig, dass sie kaum noch zu verstehen war. Briony sah Vansen an, in dessen Gesicht eine komplexe Mischung aus Mitleid und Ekel stand, während er Anissa aufrecht hielt.
    »Wer hat das gesagt? Wer ist an dich herangetreten?«
    »Es war ein Mann aus meinem Land. Ein Kaufmann. Er hat mir gesagt, er hat Nachrichten von zu Hause, also habe ich ihn zu mir kommen lassen.« Sie konnte kaum stehen. »Bitte, bitte, tötet mich nicht! Tut meinem Baby nichts! Ich wollte es nicht tun, aber sie haben gesagt, Kendrick wird morden mich und das Kind. Ich hatte solche Angst!«
    »Also hast du stattdessen dem Autarchen geholfen, meinen Bruder umzubringen.« Briony fühlte sich wie ein randvoll mit Salzsäure gefülltes Gefäß — wenn auch nur ein Tropfen überlief, würde er verätzen, worauf er auch immer traf. »Sperrt sie weg«, sagte sie zu Vansen.
    »In den Kerker?«
    »Nein. Sie ist die Mutter des Kinds meines Vaters. Sie kann hier bleiben — unter Bewachung.«

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