Das Hexen-Amulett (German Edition)
Kirche, denn die drei an diesem Tag gefeierten Gottesdienste auszulassen hätte Argwohn heraufbeschworen und Erkundigungen nach sich gezogen. Toby konnte der Versuchung, sein schauspielerisches Talent zu erproben, nicht widerstehen. Er stellte Campion mit dem Namen Rechtschaffenheit-währt-ewiglich Gunn vor und sagte, dass sie auf der Reise nach Maldon seien, wo die Familie seiner Frau lebe. Der Pastor, ein ernster junger Mann, der in seinen Gebeten darum bat, dass die Royalisten «dahingemäht würden und ihr Blut das Land der Heiligen düngen möge», musterte Campion mit neugierigen Blicken. Sie standen zwischen uralten Grabsteinen vor der Kirche und waren von Dorfbewohnern umringt. «Und wo in Maldon wohnt Eure Familie, Mistress Gunn? Meine Mutter lebt ebenfalls an diesem Ort.»
Campion wusste keine Antwort und schaute sich Hilfe suchend um.
Toby legte ihr eine Hand auf den Arm und sagte: «Der Herr in seiner Weisheit hat meiner lieben Frau fromme Einfalt geschenkt. Ihr müsst behutsam mit ihr umgehen.»
Die Frauen, die mit Campion auf der den Frauen vorbehaltenen Seite der Kirche gesessen hatten, drückten ihr Mitgefühl aus. Auch der Pastor zeigte sich betrübt und sagte: «Ich werde in der Abendmesse für sie beten, Oberst Gunn.»
Als sie kurz darauf im Gasthof eine kalte Mahlzeit zu sich nahmen, zischte Campion Toby an. «Untersteh dich, mich noch einmal als Schwachsinnige hinzustellen!»
Er grinste. «Psst! Es wäre übrigens angebracht, wenn du ein wenig sabbertest.»
«Toby!»
«Und lass dir um Gottes willen nicht anmerken, dass du dich amüsierst. Wenn wir einen glücklichen Eindruck machen, werden sie uns auf die Schliche kommen.»
Sie schnitt ein Stück Käse für ihn ab. «Wie kommt es bloß, dass ich dich liebe, Toby Lazender.»
«Du bist eben ein bisschen einfältig, meine Liebe», antwortete er lächelnd.
Am nächsten Tag brachen sie schon in aller Frühe auf und durchquerten einen fruchtbaren, gut gewässerten Landstrich. Die Mühlen standen immer noch nicht still und mahlten die Reste der Getreideernte. Die meisten Hütten waren mit Lehm verputzt und mit schmuckvollen Reliefs verziert, die Korngarben oder Girlanden aus Früchten abbildeten. Der Wind blies ihnen in den Rücken. Er trieb hohe Wolken gen Osten und kräuselte das Wasser der Flüsse, die der Nordsee entgegenströmten. Am Abend, so dachte Campion, würde sie zum ersten Mal das Meer sehen, auf dem es dann mit einem großen Schiff ins Ausland ginge. Sie war unruhig in Anbetracht des Ungewissen, auf das sie sich der Siegel wegen eingelassen hatte.
Die Landschaft wurde flacher. Sie ritten unter einem Himmel, wie Campion ihn größer noch nie gesehen hatte. Der Horizont bildete eine gerade, wie mit dem Lineal gezogene Linie, die nur durch ein paar krumme Bäume und Häuser oder Scheunen unterbrochen wurde. Die Luft schmeckte salzig, und das Kreischen vereinzelter Möwen kündete vom nahen Ende der Reise.
Nur noch selten kamen sie an Behausungen vorbei. Die wenigen Hütten, die ihnen zu Gesicht kamen, waren armselige Verschläge aus Brettern, die mit Pech bestrichen waren, kaum größer als die höchsten Gräser der Salzmarsch. Hoch oben in der Luft sah Campion Gänse in enger Formation nach Süden ziehen, der Fremde entgegen.
Am späten Nachmittag erstanden sie Brot und Käse von einer alten, buckligen Frau, die sie argwöhnisch beäugte. «Wohin des Wegs?», fragte sie.
«Nach Bradwell», antwortete Toby.
Die Alte guckte ungläubig. «Was kann man da bloß wollen?» Sie betrachtete die Münze, die Toby ihr gegeben hatte, und schien den Entschluss zu fassen, dass es sie nicht weiter kümmern sollte, warum diese seltsamen Leute gutes Geld für schlechten Käse ausgaben.
Am Rand einer Marsch machten sie Rast, um zu essen. Hundert Schritt entfernt lag das Gerippe eines morschen Bootswracks am Ufer eines trüben Wasserlaufs. Die hier im salzigen Schlamm wachsenden Pflanzen – Queller, Schuppenmiere und Seegras – waren Campion allesamt unbekannt und so fremd wie die Reise selbst.
Als sie endlich hinter der kleinen Ortschaft von Bradwell das Meer erblickte, war sie enttäuscht. Es entsprach ganz und gar nicht der Vorstellung, die sie sich gebildet hatte, nachdem sie von gewaltigen, sich vor schwarzen Felsen auftürmenden Wassermassen gelesen hatte, nicht zuletzt im Alten Testament mit seiner Darstellung des Leviathan, der in unergründlichen Tiefen dräute.
Jenseits einer weiten Wüste aus Schlick und Morast, die wohl eine
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