Das Hexen-Amulett (German Edition)
du ihn brauchst», sagte sie ruhig.
Die breite Krempe des schwarzen Hutes überschattete sein Gesicht. «Wir suchen nach dem Siegel, Schwester.»
Sie lachte. «In meinem Zimmer ist es nicht.»
«Was gibt es da zu lachen, Dorcas? Vielleicht erinnerst du dich: Nicht mir, sondern dir sind Jahr für Jahr zehntausend Pfund versprochen.»
Sie hatte ihm den Ring reichen wollen, hielt aber jetzt ihre Hand zurück und schüttelte den Kopf. «Du verstehst wohl nicht. Das Geld ist mir unwichtig. Ich will einfach nur allein sein. Und vor allem will ich nicht Mr Scammell heiraten. Lass uns beide nach dem Geld suchen, Ebenezer. Du und ich. Dazu brauchen wir Mr Scammell nicht.» Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. «Ich habe nachgedacht. Du kannst das Geld haben, und wenn du dir eine Frau ins Haus holst, werde ich ausziehen und mir im Dorf eine Bleibe suchen. Wir könnten glücklich und zufrieden sein.»
Er rührte keine Miene, doch sein Blick verriet, wie sehr er ihr grollte. Er hatte sie noch nie leiden können, denn sie konnte laufen, was ihm versagt war, sie konnte nackt im Bach baden, während er sein verunstaltetes, steifes Bein hinter sich herzog. Nun schüttelte er den Kopf. «Du willst mich in Versuchung führen, nicht wahr? Du bietest mir Geld. Und warum? Weil du Bruder Scammell ablehnst. Meine Antwort ist nein, Schwester. Nein.» Er hob die Hand, um sich nicht unterbrechen zu lassen. «Nur du und ich, das klingt recht schön, aber ich weiß, was du im Schilde führst. Du würdest gleich an deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag mit dem ganzen Geld durchbrennen. Aber dazu kommt es nicht, Schwester, denn du wirst Bruder Scammell heiraten, und wenn du verheiratet bist, wird dir klar werden, dass Bruder Scammell und ich ein Abkommen getroffen haben. Wir teilen uns das Geld, Dorcas, unter uns dreien, denn so will es Bruder Scammell. So hätte es auch unser Vater gewollt. Hast du auch daran gedacht? Oder glaubst du etwa, dass mit seinem Tod all seine Hoffnungen zerstört sind? Dass all seine Gebete ungehört bleiben?» Ebenezer schüttelte erneut den Kopf. «Eines Tages, Dorcas, werden wir wieder mit ihm zusammentreffen, und zwar an einem besseren Ort als diesem, und ich will, dass er mir dann dafür dankt, ein guter, treuer Sohn gewesen zu sein.»
«Eb?»
«Den Schlüssel, Schwester.» Er streckte wieder die Hand aus.
«Du irrst, Eb.»
«Her damit!»
Sie gab ihm den Schlüssel, und kaum dass er ihn entgegengenommen hatte, zerrte er mit Gewalt am Zügel, hieb dem Pferd die rechte Ferse in die Flanke und galoppierte davon.
Niedergeschlagen setzte sie sich wieder ans Ufer des ruhig fließenden Baches. Ebenezer verachtete sie, und sie wusste nicht warum. Es schien, als erfreute er sich an ihrem Kummer. Von seinem Vater hatte er nicht nur den Zorn geerbt, sondern auch dessen Hang zur Grausamkeit. Sie erinnerte sich, Ebenezer, als dieser zehn Jahre alt gewesen war, im Obstgarten mit Clarks Martyrologie vorgefunden zu haben. Die aufgeschlagene Seite zeigte, wie römisch-katholische Priester einem protestantischen Märtyrer die Eingeweide aus dem Leib herausrissen, und sie hatte entsetzt aufgeschrien, weil am Apfelbaum ein kleines Kätzchen mit aufgeschlitztem Bauch hing, gefoltert auf die gleiche Weise. Sie hatte ihren Bruder von dem blutverschmierten Baum weggezerrt, weg von dem kreischenden Kätzchen, war von Ebenezer bespuckt und gekratzt worden und musste erfahren, dass er schon neun andere Kätzchen auf diese Weise getötet hatte. Sie hatte am Ende das leidende Tier mit eigener Hand erlösen müssen und ihm unter dem hämischen Gelächter ihres Bruders die Kehle durchschnitten.
Ebenezer war nun mit Samuel Scammell im Bunde. Ihre Mitgift sollte unter ihnen aufgeteilt werden, und sie konnte nichts dagegen unternehmen.
Sie hatte in Werlatton nichts mehr verloren. Den Blick auf die Stelle gerichtet, an dem sich der Bach in den Teich ergoss, dachte sie an Aufbruch, daran, dem Lauf des Baches zu folgen und zu sehen, wohin er sie führte. Gleichzeitig aber wusste sie, dass es ihr nicht möglich sein würde davonzulaufen. Doch sie wusste auch, dass es ihr unmöglich war zu bleiben.
Sie stand auf und ging langsam und schweren Herzens zum Haus zurück.
Durch die Seitentür betrat sie den Korridor, der am Arbeitszimmer ihres Vaters vorbeiführte. An das helle Sonnenlicht gewöhnt, konnte sie in der Düsternis des Hauses zunächst kaum etwas erkennen, und so sah sie auch nicht den Mann, der vor der Tür zum
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