Das Höllenbild
Er schwang mit einer sehr wuchtigen Bewegung hoch, als wollte ihn der Riese selbst von seinem Hals schleudern. Ich feuerte wieder.
Diesmal drang die Kugel teilweise in eine Nase hinein und zerstörte auch sie. Er brüllte.
Ein Geräusch, das in meinen Ohren widerhallte. Es kam mir vor, als sollte es mir die Trommelfelle zerreißen, aber der kleine Riese stand noch auf seinen unförmigen und ziemlich dicken Beinen. Er wollte nicht sterben, er wollte nicht zusammenbrechen, und er blieb auch nicht auf einer Stelle stehen. Er setzte sich in Bewegung, aber ich bekam auch mit, daß er kein Ziel mehr hatte. Er irrte umher. Er stampfte, er ging nach links, drehte sich um und stolperte in die andere Richtung davon. Aber er konnte sich auf den Beinen halten, und er suchte mich, denn er beugte wieder seinen Oberkörper nach vorn.
Zwei Kugeln steckten in seinem Schädel. Zweimal hatte das geweihte Silber getroffen, aber diese Gestalt brach einfach nicht zusammen. Ich wußte nicht mehr, was ich noch anderes tun sollte und entschloß mich zu einem dritten Schuß.
Ich stand ihm nicht mehr im Weg, sondern kniete jetzt. Die beiden Arme nach vorn gestreckt, wobei der linke den rechten unterstützte, mit dessen Hand ich meine Beretta hielt.
Ruhig, nur ruhig.
Ihr wurde kalt.
Und ich jagte die dritte Kugel aus dem Lauf. Diesmal rammte sie genau in das rechte Auge der Gestalt hinein. Es war wie ein mächtiger Faustschlag, wie ein Donner, wie der Treffer mit einem Hammer, und etwas spritzte nach vorn.
Der Riese zuckte hoch.
Er heulte auf. Die Laute waren kaum zu beschreiben, die seinen weit geöffneten Mund verließen. Es war der irre Schmerz, der ihn so handeln ließ. Zum erstenmal bekam ich Hoffnung, daß drei Kugeln ausgereicht hatten, um seinen Lebensfaden zu zerschneiden.
Nicht das Kreuz, nicht das alte und doch so mächtige Erbe. Drei geweihte Silberkugeln, deren Effekt sich sicherlich nicht auf die weißmagische Kraft bezog. Bei ihm richteten sie den gleichen Schaden an wie eine einfache Kugel bei einem Menschen.
Der Riese war angeschlagen.
Er war sogar schwer angeschlagen, denn er konnte sich nicht mehr normal auf den Beinen halten. Als wäre jemand in der Nähe, der einen bestimmten Takt schlug, so bewegte er sich.
Er ging in einen Kreis hinein, er hob die Schultern an, er stemmte seine Beine hoch, er drückte sie wieder mit aller Kraft zurück, die aber nicht mehr so stark war wie bei der ersten Begegnung.
Ich merkte es an den Vibrationen des Untergrunds. Sie waren kaum noch vorhanden.
Der Riese schwankte weiter. Er sackte zum erstenmal zusammen, als er sich in der unmittelbaren Nähe der Hütte befand. Nur fiel er noch nicht.
Wieder fing er sich. Er raffte sich auf, wollte sich, als er hochaufgerichtet stand, drehen, aber diese Bewegung war zu anstrengend für ihn.
Der Riese verlor das Gleichgewicht. Er kippte vor meinen Augen nach rechts weg, und es wirkte sehr langsam, beinahe wie im Zeitlupentempo.
Der Riese sah in dieser Lage so aus, wie ich ihn vom Bild her kannte, als er dort schräg gelegen hatte.
Nun aber bewegte er sich.
Er fiel weiter, und er sackte dabei den Resten der Hütte entgegen, die er unter seinem Gewicht endgültig begrub.
Ich ging auf ihn zu und war dabei noch sehr vorsichtig, denn für Überraschungen war eine Gestalt wie er immer gut. Er rollte sich herum.
Dies geschah nicht freiwillig. Es war so etwas wie ein letztes Zucken, und wie ein normaler Mensch blieb er auf dem Rücken liegen, unter sich die Trümmer der Hütte.
Sein Gesicht sah schlimm aus.
Zwei Kugeln hatten es aufgerissen. Die dritte war in sein linkes Auge gejagt und hatte es zerstört. Aus dem Loch sickerte eine blasse, dickliche und ölartige Flüssigkeit hervor. Das andere Auge war noch vorhanden. Ich konzentrierte meinen Blick darauf.
Schon oft genug in meinem Leben hatte ich in die Augen eines Toten geschaut. Der Riese war tot, das sah ich. Es gab keinen Funken Leben mehr in ihm.
Ich hatte gewonnen.
Ich lebte noch.
Aber war ich wirklich der große Sieger? Ich stand hier in einer fremden Welt, ich war versteckt in der tiefsten Vergangenheit, und ich hielt mich auf einer sagenhaften Insel auf, die den menschlichen Augen verborgen war und mehr als Legende existierte.
Daniel Defoe hatte in seiner Robinson-Geschichte die Gefühle des Helden beschrieben, die mich durchfuhren.
Verloren in der Einsamkeit.
Ich ging ein paar Schritte weg. Die Welt war plötzlich so tot. Sie war so anders. Mir kam wieder das Gemälde
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