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Das Höllenbild

Das Höllenbild

Titel: Das Höllenbild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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versuchte dabei, die Maße zu schätzen.
    Es war ziemlich breit und reichte bis zur Decke. Viel Platz für den unbekannten Künstler, sich auszutoben.
    Beherrschend war ein übergroßer Mann. In einer nach rechts gedrückten schrägen Haltung schien er alles zu beherrschen. Er stand mit seinen nackten Füßen nicht auf dem Boden, sondern sah so aus, als wäre er hineingeschwebt. Zudem erinnerte er Arlene an einen griechischen Gott oder einen Halbgott. Sein Körper war ziemlich muskulös und so gut wie nackt. Nur um die Lenden hatte die Gestalt ein Tuch geschlungen, das so aussah, als würde es jeden Moment vom Wind weggeweht. Der Mann hatte den rechten Arm halb erhoben und die in seiner Kopfhöhe schwebende Hand gespreizt. Der andere Arm war angewinkelt, und die Hand befand sich in einer waagerechten Stellung dicht unterhalb der beiden eingezeichneten braunen Brustwarzen.
    Schuhe trug die Person nicht. Arlene konnte soeben noch die bloßen Füße erkennen, bevor sie hinter einem Stein verschwanden. Diese Steine waren nicht echt. Der Maler hatte sie praktisch auf die echten gemalt, wo sie aussahen wie kleine Pyramiden.
    Es gab noch eine Person auf dem Bild. Eine Frau. Sie war nicht so kräftig gezeichnet worden wie der Mann und erinnerte in ihrer Blässe eher an einen Geist.
    Ihr Kopf war deutlich zu erkennen. Auch das Gesicht, das einen madonnenhaften Ausdruck zeigte. So wie diese Frau wurden früher die weiblichen Heiligen gemalt. Ein helles Tuch umschlang den Kopf. Das ebenmäßige Gesicht mit dem nach unten gerichteten Blick wirkte schon esoterisch oder in sich gekehrt, als wäre die Person dabei, über sich oder andere nachzudenken. Sie war tief in ihre Gedankenwelt versunken.
    Arlene Shannon schüttelte den Kopf. Sie hatte immer gedacht, daß ihr das Leben keine Überraschungen mehr bieten würde. Da jedoch war sie einem Irrtum verfallen. Der Anblick des Bildes gehörte zu den größten Uberraschungen, die ihr je widerfahren waren, und sie wußte wirklich nicht, wie sie damit zurechtkommen sollte.
    Das Bild hatte etwas!
    Ja, Arlene glaubte fest daran. Sie spürte eine gewisse Botschaft, die den Betrachter erreichte, aber sie kam nicht dahinter, was nun genau damit gemeint war.
    Seltsam irritierend, auch unglaublich.
    Wer hatte es gemalt?
    Keine Ahnung. Einer, der noch lebte? Oder war es jemand gewesen, der aus einer fernen Vergangenheit stammte? Das Gemälde wollte sie auch nicht mit den Bildern des Mittelalters vergleichen und ebenfalls nicht mit den Fresken aus der Antike. Es lag irgendwo dazwischen oder stammte sogar aus einer anderen Welt oder Zeit.
    Unheimlich war es schon. Selbst für sie als Terroristin und Frau, die bereits verdammt viel durchgemacht hatte, war dieses Bild so etwas wie eine Warnung.
    Auf einmal war auch die Hitze verschwunden. Arlene hatte den Eindruck, zu frieren und zugleich aus dem Bild heraus beobachtet zu werden. Sie stand unter der Kontrolle der Fremden.
    Aber es mußte etwas zu bedeuten haben, daran glaubte sie fest. Der Künstler hatte es nicht grundlos geschaffen. Er hatte eine Botschaft hinterlassen wollen. Möglicherweise auch eine Warnung, mit der die Frau nicht zurechtkam. Die Neugierde siegte über die Beklemmung. Sie wollte es genauer wissen und trat deshalb dichter an das Bild heran.
    Jetzt brauchte sie nur den Arm auszustrecken, um es berühren zu können. Eine nicht erklärbare Scheu hielt sie davon ab. Sie kam sich vor wie jemand, der plötzlich vor einem Heiligtum stand und nicht damit fertig wurde. Sehr seltsam, wirklich…
    Dennoch überwand sie ihr eigenes Gefühl und streckte dem Bild die rechte Hand entgegen. Das Ziel war dabei der nackte, noch junge Gott mit dem Pausbackengesicht und den feinen, nahezu antiken und klassischen Zügen. Ihre Fingerspitzen fuhren über das Gestein hinweg.
    Nein, das konnte es nicht sein. Das war kein Gestein. Es fühlte sich anders an. So warm, als wären die Figuren nicht nur Geschöpfe eines Malers, sondern eines Erschaffers, der ihnen ein gewisses Leben eingehaucht hatte.
    Ein Rückzug kam Arlene nicht in den Sinn. Wohin hätte sie auch gehen sollen? Sie fühlte sich als Gefangene dieser eigenen Welt, und sie wäre immer wieder von diesem Bild angelockt worden, dessen Motiv die gesamte Umgebung beherrschte.
    Es war einfach gut. So lebensecht, und die Frau konnte ihre Hand einfach nicht vom Körper der gemalten Gestalt lösen, wobei sie den Eindruck hatte, daß der junge Mann nicht aus Farbe bestand, sondern aus Fleisch und

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