Das Hohe Haus
es ist. Warum? »Leider ist die Wirklichkeit komplex«, verkündet Nadine Schön ( CDU / CSU ) auf Pfälzisch und wird gnädig übersehen von den Ministerinnen von der Leyen und Schröder.
Da ist Frank-Walter Steinmeier ( SPD ) schon ein anderes Kaliber, bringt echten Furor hinter seine Überzeugungen, streut ein »verdammt noch mal« ein, lässt die Faust sausen und die Fakten sprechen und erntet endlich einen Applaus, der nun zum Teil sogar von den Linken kommt. In diesem Augenblick fällt das Licht auf Familienministerin Schröder. Es ist ihr Thema, aber sie langweilt sich, wird auch nicht sprechen, sosehr man das erwartet. Stattdessen greift sie immer wieder nach dem Handy, tippt eine Nachricht, strafft ihren Blazer. Es wogt auf der Oppositionsbank. Als Diana Golze ( DIE LINKE ), eine jener Jungen, die sachverständig, engagiert und überzeugend wirken, lauter triftige Einwürfe formuliert und bedauert, dass sich Schröder nicht zu Wort melde, macht einer der Staatssekretäre auf der Regierungsbank eine Scheibenwischerbewegung vor dem Gesicht, was wohl »Plemplem« bedeuten soll. Die Ministerin schaut kurz von ihrem Display auf, sinkt aber schnell wieder zurück.
Sie werden in rascher Folge kommen und gehen an diesem Pult: eine kämpferisch frontal agierende Katrin Göring-Eckardt ( B 90 / DIE GRÜNEN ); eine entgegenkommende Elisabeth Winkelmeier-Becker ( CDU / CSU ), der die Ablehnung der Oppositionsanträge so schwer fällt, dass sie offenbar ein wenig über sich selbst erschrickt; eine im roten Don-Kosaken-Kittel salopp vorpreschende Elke Ferner ( SPD ); eine aggressive Miriam Gruß ( FDP ), die erst Wort für Wort abliest: »Wer Rechte hat, hat auch Pflichten«, um dann die These zu wagen, der Beitrag zur Entgeltgleichheit beginne in der frühkindlichen Bildung.
Doch die Ministerin ist bloß Phantom. Einmal funkeln ihre Ohrringe im Sonnenlicht. Das bleibt die einzige Pointe. Auf der gegenüberliegenden Tribüne wird von einer Gebärdendolmetscherin jedes Wort visualisiert. Die Besucher dort wenden keinen Blick von ihr. Die Reden strömen weiter. Es ist 15 Uhr 40 , als Petra Pau die Sitzungswoche mit den Worten schließt: »Ich wünsche Ihnen für die folgende Zeit alles Gute.« Dazu hat das Gute drei Wochen.
Mittwoch, 17 . April, 13 Uhr
Die USA schicken Kampfjets nach Südkorea. Wladimir Putin wird in Hannover von barbusigen Femen-Frauen bestürmt und reagiert mit erhobenem Daumen. Margaret Thatcher ist tot. Franziskus wäscht Füße und verärgert damit konservative Katholiken. Am Vortag wird der Boston-Marathon von einem Anschlag erschüttert. Der »Wirtschaftsweise« Christoph Schmidt nennt 8 , 50 Euro Mindestlohn »entschieden zu hoch«. Der HSV verliert 2 : 9 gegen Bayern. Steinbrück trifft Hollande. Die deutsche »Vogue«-Chefin lobt Angela Merkels Urlaubs-Outfit. Der Parfüm-Kritiker Luca Turin befindet, zu Merkel passe »echte bedrohliche Dunkelheit«. Ein Parteienforscher hat ermittelt: Die Wähler sind wählerisch geworden.
Ottmar Schreiner ist tot. Neulich saß er neben mir im Flugzeug, ein Parteisoldat, der sich aufgerieben hatte. In seinem Gesicht war beides: diese Sorge, die es von überall gleich nah hat zur sozialen Frage, und eine Art Fatalismus, eine Sturheit in der Niederlage, sichtbar bei Menschen, die lange Zeit ihres Lebens auf verlorenem Posten geredet haben. Ich wollte ihm sagen, dass mir seine Stimme fehle im Parlament, ließ es aber. Hätte ich gewusst, dass er Krebs hat, hätte ich es gesagt. Stattdessen tauschten wir zwei Belanglosigkeiten aus, und er versenkte sich in seine Papiere, in denen es um Politik ging. Etwas Bemitleidenswertes ging von ihm aus – ob es daran lag, dass er auf der Linken der SPD ein historischer Verlierer war, oder am nahenden Tod? An der Gestaltung des Landes arbeitete er trotzdem.
In der Zeitung sagt Wolfgang Schäuble über die Möglichkeit einer abermaligen Krise wie 2008 : »Dann stünde nicht nur die marktwirtschaftliche Ordnung auf dem Spiel, sondern unsere gesamte Gesellschaftsform der westlichen Demokratie.« Also sind die beiden Ordnungen eine oder zumindest so verwachsen, dass man nicht weiß, wo hört die Wirtschaftsordnung auf, wo beginnt die des Staates? Dieser organisiert schließlich die demokratische Reichtumssicherung, und es scheint, dass kein System Reichtum so zuverlässig sichern kann wie die Demokratie. Dazu braucht man allerdings die Parteien, das Parlament, die Exekutive etc.
Der Frühling ist da, die Farben
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