Das Hohe Haus
auf den Tribünen werden heller. Schon eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn sind sie fast voll. Der Plenarsaal aber liegt noch verlassen, die Schriftführer setzen sich, die letzte Bank hinter der Regierungsbank füllt sich, es sind mehrere Bundeswehr-Vertreter darunter. Dagmar Enkelmann ( DIE LINKE ) kommt mit ihrem notorischen Rollkoffer und in roter Strickjacke, hievt die Aktenmasse auf das Pult, setzt sich auf die äußerste linke Position, ihr Nachbar reckt sich. Das Händeschütteln der Abgeordneten geschieht oft jovial, im Vorbeigehen, geschäftsmäßig, im Kohl-Stil, das heißt, ohne dass sich die Beteiligten in die Augen sehen.
Es ist 13 Uhr, so leer war es kaum je. Ein gebräunter Journalist im hellen Anzug tritt heran. »Na, da war aber einer im Urlaub«, schallt es laut durch das Rund. Es gongt, die Schüler sehen als einzige feierlich aus, erheben sich, weil alle es tun, halten die Hände vor dem Schritt verschränkt wie die Nationalspieler zur Hymne. Vizepräsidentin Petra Pau eröffnet die Befragung der Bundesregierung mit dem »Bericht zur Entwicklungspolitik«.
Dirk Niebel ( FDP ) hat einen Bericht vorgelegt, den niemand lesen konnte, da er erst um 11 Uhr die Büros erreichte, eben als die Ausschusssitzungen begannen. Die mögliche Lektürezeit also beläuft sich auf null Minuten, merkt jemand an. Niebel spricht schnell und zeigt sich von seiner Arbeit überschwänglich begeistert. Er sagt Dinge wie: »Wir probieren auch als Deutschland …«, dann lobt er sich dafür, seine »Hausaufgaben gemacht«, »Triple-win-Situationen«, die »Steigerung der Transparenz«, der »Akzeptanz« geschaffen, also insgesamt »vier gute Jahre auch für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit« absolviert zu haben. Er fasst sogar am Ende eines »Zielkorridors« bereits das »Ende der Armut« in den Blick.
Die Regierungsbank ist inzwischen gut gefüllt, vor allem von Staatssekretären. Es ist jetzt heller im Haus. Der Bundesadler schimmert in lichtem Silber. Die ersten Fragen werden gestellt. Der alte Saaldiener hat wieder auf der Bundesratsbank Platz genommen, er sieht mit einer Goya-Grimasse auf die Streithähne, die sich gerade um die Begriffe »Lüge«, »Täuschung« und »Unwahrheit« raufen. Dirk Niebel nutzt die Möglichkeit, nicht zu antworten, sondern lieber weiter mitzuteilen, was alles in seiner Amtszeit sich verbesserte. Er tut das breitbeinig, wie jemand, der gewohnt ist, grundsätzlich mit doppelter Dosis heimzuzahlen.
Man wirft ihm vor, Parteifreunde auf wichtige Posten seines Ministeriums gebracht zu haben. Die Aussage ist nicht neu, sie ist längst publizistisch nachrecherchiert und bestätigt worden. Doch der Minister schraubt sich zu einem Crescendo der Wut, brüllt schließlich, qualifizierte Mitarbeiter würden diffamiert, die sich nicht wehren könnten. Nein, echt klingt es nicht, das Engagement des Ministers für seine Angestellten. Jetzt behauptet er sogar, das Parteibuch der Leute nicht zu kennen, die er einstellte und die gewissermaßen zufällig seiner Partei angehören. Und tobt: »Ich kann mir in meinem Ministerium keine einzige Pfeife leisten. Wenn hier im Parlament toleriert wird, dass hier Pfeifen gewählt werden, kann ich das nicht ändern; das macht der Wähler.«
Auf der Tribüne lächelt kein Schüler. Ein nachfolgender Fragesteller weist jetzt auf die hohe Unzufriedenheit von Niebels Mitarbeitern hin. Dieser, stehend, berät sich mit einer Blonden in Rot, die neben ihm sitzt und souffliert. Dann tritt der Minister mit trockener Kälte für »Armutsminimierung« ein, leiert die humanitären Krisen, die Notsituationen herunter und resümiert: »Deshalb sage ich auch immer, charity is nice to have«, aber ihn interessierten eher die Regierungen, die Wirtschaft. Ute Koczy ( B 90 / DIE GRÜNEN ) lässt nicht locker und fragt: »Sind Sie mit mir der Auffassung, dass Sie innerhalb der kurzen Zeit, die Sie jetzt im Amt sind (…) bis zu fünfzig FDP -nahe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Ministerium geholt haben und Sie dafür das hausinterne Auswahlverfahren außer Kraft und eigene Regeln in Kraft gesetzt haben?«
Der Minister wischt sich das Gesicht mit einem Taschentuch. Seine Begleiterin souffliert ihm weiter. Sein Gesicht sagt, dass er sich behelligt fühlt, dass er die öffentliche Kommentierung seiner Arbeit als Zumutung empfindet, dass er keine weitere narzisstische Kränkung duldet. Also wiederholt er flau, »vier gute Jahre für Deutschland« seien das gewesen.
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