Das Hohe Haus
inzwischen weitergezogen.
Frank-Walter Steinmeier ( SPD ) absolviert das Nötige: Seine Partei wird dem Rettungspaket zustimmen, reklamiert dessen »Erfolg«, ferner die Urheberschaft am Vertrag auch für die SPD und ihren Kandidaten. Sagen kann er nicht, was falsch ist am Paket, sagen muss er, was Verdienst der SPD an all dem ist. Er ist laut, er insistiert und fordert. Aber da die Entscheidungen gefallen und die großen Parteien sich einig sind – für wen wird die Debatte geführt, und wo ist sie wirklich eine? Merkel erwacht. Erst amüsiert sie Rösler an ihrer Seite, doch der ist leicht amüsierbar. Dann schmeißt sie Aigner eine Pointe nach hinten, doch die prallt ab, so dass Merkels Gesicht heiterer ist als das Aigners. Dann dehnt die Kanzlerin ihre Stimmungsoffensive auf die erste Bank der CDU -Fraktion aus und kehrt frohgemut zu Rösler zurück.
»Diese Regierung verschläft die Zukunft in diesem Land«, donnert Steinmeier. Der Applaus kommt reflexartig. Doch genau besehen, was wird da beklatscht? Dass wir unsere Zukunft verpassen? Dass der Redner die Regierung blamiert mit einer Floskel? Dass er den Mut hat, sie noch einmal zu bemühen? Nicht zu tilgen ist das Missverhältnis: Schäuble doziert, Steinmeier attackiert. Was bleibt ihm übrig? Er muss kleine Felder für sich reklamieren, vom großen Kuchen abbeißen, einen Wahlsieg seiner Partei antizipieren, an den er vermutlich nicht glaubt, und deshalb fällt der Schatten dieses Zweifels auch auf alles andere.
Gregor Gysi ( DIE LINKE ) erhebt sich wie immer mit der Geste des Jacke-Zuknöpfens. Merkel ist gegangen wie meistens bei seinen Reden. Der Sicherheitsbeamte hinter mir möchte die Hähnchenfrage neu verhandeln. »Was bitte soll das alles?«, ruft Gysi gerade ins Plenum. »Ja, was bitte soll das alles?«, wiederholt die Journalistin an meiner Seite und erhebt sich. Was das soll? Gysi zählt die Einbußen der Bürger Zyperns auf und schließt eine synoptische Übersicht der Ungleichbehandlung von Banken und Hartz- IV -Empfängern an. Seinen Abgang begleiten die Bravorufe seiner Partei. Alle anderen Parteien haben dem Paket zugestimmt.
Gysis Nachfolger am Pult, Michael Meister ( CDU / CSU ) teilt dem Plenum mit, dass es Deutschland gutgehe, dass alle Parteien fänden, dass es Deutschland gutgehe, dass er selbst es »sehr erfreut« gehört habe, dass es Deutschland so gutgehe, aber Gregor Gysi müsse er sagen: »Das ist kommunistische Politik. Sie führt die Menschen in den Abgrund und ins Elend.« Von seinem Blickwinkel aus sieht man weder Menschen noch Abgrund noch Elend. Angela Merkel ist wieder da. Da der Redner ihr Komplimente macht, nimmt sie diese mit lächelndem Nicken entgegen. Sie ist nicht für alles verantwortlich.
Meister aber verbeißt sich in eine Anschlussüberlegung: Bei der »Frage der Gerechtigkeit« müsse man »sehr deutlich die Frage stellen: Was ist denn gerecht?« Die Frage selbst ist so undeutlich, dass man in der Tat deutlich sagen muss: Außerhalb der Frage der Gerechtigkeit ist die Frage »Was ist gerecht?« nicht stellbar. Also muss man auch bei der Parlamentsrede sehr deutlich die Frage stellen: Was ist Gerede?
Als Meister an seinen Platz zurückkehrt, klopft ihm sein Banknachbar auf die Schulter. Danach aber wird der Redner von Gysi auf Sachfehler bei der Darstellung der zyprischen Politik hingewiesen. Meister erwidert nicht. Bei der Frage der Wahrheit muss man nicht mal undeutlich fragen: Was ist wahr? Man frage einfach: Was ist passé? Denn da steht ja schon Renate Künast ( B 90 / DIE GRÜNEN ) am Pult, reklamiert Verhandlungserfolge für sich, findet den Staat »ein Stück verhunzt«, beschwört »Voodoo« und »Mantra«, und während sie die Kanzlerin angreift, begrüßt diese mit herzlichem Handschlag Claudia Roth ( B 90 / DIE GRÜNEN ).
Kein Widerspruch, der nicht beiseitegewischt werden könnte, kein Zwist, der nicht unter Umständen Scheingefecht sein oder schlicht übergangen werden könnte. Wie ungehört etwa die Stimme des Abweichlers Frank Schäffler ( FDP ), der auch heute wieder darauf besteht, das abzustimmende »Rettungspaket« fuße auf einem »kollektiven Rechtsbruch«, ein »Taschenspielertrick« sei es, die größte Bank Zyperns als »systemrelevant« für Europa zu erklären und diese an die »Brandstifter« der Europäischen Zentralbank zu verraten. Wie fundiert auch immer das sein mag, tatsächlich vertritt er einen der wenigen originellen Standpunkte. Natürlich erhält er dafür kaum
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