Das Hohe Haus
angemahnt hatten und Bundessozialministerin Ursula von der Leyen Lösungsvorschläge präsentiert hatte, stellten sich die Regierungsfraktionen am Donnerstagabend stur.« Auch habe der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, seine »große Enttäuschung« zum Ausdruck gebracht. Die hochbetagten Überlebenden erwarteten, »dass es eine moralische und gesetzliche Lösung gibt, bevor es zu spät ist«. Die israelische Regierung ist verstimmt, die Knesset-Abgeordneten, so heißt es, wollen den deutschen Botschafter vorladen und »verlangen eine Erklärung für das unwürdige Hin und Her«.
Das Plenum ist heute gut besetzt. Bundestagspräsident Norbert Lammert erinnert im Stehen an das »Reichsermächtigungsgesetz«, auch an Otto Wels, der am Vortag zitiert worden war. Das Gedenken löst Pietät aus. Jede dieser Gedenkreden feiert implizit auch den Weg, der zu diesem Parlament geführt hat. Aus der Zeit des Nationalsozialismus schauen gerade alle nach vorn, in diese Gegenwart. Es ist ein Innehalten, in dem die Idee dieser höchsten demokratischen Institution vor der Widerspiegelung ihres Scheiterns gefeiert wird. Hat Hitler nicht einmal sinngemäß gesagt, er habe die Demokratie »mit ihren eigenen Mitteln« zur Strecke gebracht? Der Parlamentarismus wird heute als »robust und vital« gefeiert. Man beschwört die Gemeinsamkeit. Danach erheben sich alle und schweigen. Angela Merkel kommt verspätet. Eine Sitzung, heißt es entschuldigend. Das Gedenken hat sie verpasst, dem »Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED -Diktatur« wird das nicht passieren.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann liest etwas ab zur Aufarbeitung der DDR -Vergangenheit. Seine Worte sind von so großer Allgemeinheit, dass sie synonym auch auf den Nationalsozialismus oder das Pol-Pot-Regime zutreffen würden. In jeder Floskel verflüchtigt sich der Gegenstand, aus Gedenken wird Vergessen, Papiergeschmack bleibt zurück: »Die 40 -jährige DDR -Diktatur darf nicht verdrängt, nicht vergessen und schon gar nicht verharmlost und verniedlicht werden. Dies sind wir nicht nur den Opfern schuldig, sondern auch den Werten unserer Demokratie, aber auch den Menschen, die die friedliche Revolution 1989 erst möglich machten.«
Es ist jetzt 9 Uhr 10 . Angela Merkel ist schon wieder gegangen. Wenn ein Gedenken dem Grundsatz folgt, pauschal zu erinnern mit den immer gleichen Stereotypen und zugleich präzise zu vergessen, nämlich alles, was das Erinnern verbindlich machen würde, dann handelt es sich hier um ein Vergessen durch Erinnern. So ist es also vielleicht auch nur ein Investieren in Gesten, wenn der Kulturstaatsminister sagt, er habe »bewusst die Mittel für die Aufarbeitung beider deutscher Diktaturen um fünfzig Prozent erhöht«. Wieder werden beide Systeme parallelisiert. Die Rede dazu belegt nicht nur kein echtes Erinnern, sie verrät nicht einmal den Kulturvertreter. Den Parteifunktionär aber verrät die polemische Schärfe etwa gegen Wolfgang Thierse.
Angela Merkel kommt zurück mit Volker Kauder. Sie sitzt nun allein auf der Regierungsbank unter Staatssekretären, bedröppelt, mit verschränkten Armen. Neumann ist strahlend kunstbraun, Merkel dagegen blass und blickt abgekämpft an sich herunter, prüft ihre Fingerkuppen, starrt vor sich hin. Als Wolfgang Thierse Neumanns Polemik gerade beantworten will, geht sie. Die Lehne ihres Stuhls wendet sich dem Redner zu als Repräsentant ihrer Haltung. Dann kehrt sie doch zurück, liest, was ihr hingelegt wurde, berät sich.
Thierses Stimme ist Flanell. Er hat eine Sorge, eine Betrübnis in seinem Timbre, die verhindert, dass er selbst im Forte schneidend wird. Er erwidert Neumann, aber der bricht gerade auf. Thierse arbeitet mit Ideen, vor allem mit einer hohen Idee vom Parlament. Er spricht mit der Autorität dessen, der die Stasiunterlagenbehörde mitbegründete und zu echtem Erinnern fähig ist: »Es ist ein Irrtum, zu glauben, die bloße Anschauung der Diktatur bringe Demokraten hervor«, sagt er. Der Applaus kommt dieses Mal auch aus der Linksfraktion.
Der Fortgang der Debatte zeigt die Grenzen der Aufarbeitung. Man erkennt in den Reden der Regierungsparteien nicht, dass die Existenz der DDR eine Folge des Nationalsozialismus war. Statt einer tiefenscharfen Differenzierung sucht man die agitatorische Wirkung, die manchen ehemaligen Bürger der DDR auf der Tribüne sichtlich verfehlt.
Patrick Kurth ( FDP ) propagiert, die Linke habe den
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