Das Hohe Haus
SED -Staat zum Stasi-Staat gemacht. Man hört Hohngelächter, Zwischenrufe, sieht das Abwinken aufseiten der Linken und hat nicht den Eindruck, dass die Auseinandersetzung noch ernst ist oder dass sie sich in den 24 Jahren nach der Wende merklich verfeinert hätte. Nein, die Regierungsparteien wollen diese Debatte offenbar lieber plakativ. Die Realität historischer Prozesse stört die Unterstellung der niederen Beweggründe und lässt sich vielleicht nicht mehr durch Niederbrüllen beantworten, und das bedeutet: Nahe am historischen Ereignis werden oft noch Differenzierungen versucht, sie werden sogar von den Opfern eingeklagt. Aus dem historischen Abstand aber wird das Erinnern instrumentalisiert und dazu vergröbert.
Zuletzt wird Peer Steinbrück vorgeworfen, dass er sich vom Grünen-Oberbürgermeister Fritz Kuhn zum Neujahrsempfang der Stuttgarter SPD eine Mao-Zedong-Fibel habe schenken lassen und diese, als »jemand, der Deutschland regieren« wolle, auch angenommen habe. Bei den Lektüren ihrer Kontrahenten sind die Freidemokraten offenbar weniger liberal als die Bundesprüfstelle. Die Blicke der Protokollantinnen schwenken die Front der Klatschenden ab und notieren auch Sigmar Gabriels Zwischenruf: »Wie blöd muss man eigentlich sein, um bei der FDP Bundestagsabgeordneter zu werden?«
Wolfgang Wieland ( B 90 / DIE GRÜNEN ), in der DDR offenbar noch Mao-Anhänger, schließt fugenlos an die FDP -Position an, wird kollektiv beklatscht, und am Ende applaudieren sich stolz alle wechselseitig, bis auf die Linke, angesichts der Überwindung der DDR , der sie sich auch in diesem Augenblick nicht stellen, sondern die sie zum Steinbruch für tagespolitische Gemeinplätze missbrauchen. Nur Wolfgang Thierse enthält sich des Applauses.
Als Gast spricht der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Reiner Haseloff. Für einen Satz wie: »Einen Schlussstrich kann und wird es nicht geben«, erntet man den Applaus der gesamten Regierungsfraktion, obwohl er nicht einmal sachlich stringent ist. Den gleichen Applaus setzt es für: »Wir müssen uns der Geschichte stellen.« Solche Sätze wären nur in einer Diktatur mutig. Hier sind sie nichts weiter als der unverbindliche Versuch, ein substantielles Erinnern zu umgehen. Wollte man mehr leisten als eine Bewältigungsanstrengung, müsste man zum Beispiel jene Blockparteien des Ostens einschließen, die nicht eben Oppositionsparteien waren, sondern in der DDR sogar Minister stellten. Ist nicht außerdem gerade bekannt geworden, unter welchen Bedingungen westdeutsche Unternehmen ihre Produkte in Haftanstalten der DDR fertigen ließen, ja, wie selbst politische Häftlinge für Devisen aus dem Westen geknechtet wurden?
Nein, wenn Haseloff nun noch die Jugendlichen zitiert, die keine Kenntnis mehr besäßen, dann muss man hinzusetzen, dass das Parlament in diesem Augenblick weder zum Erwerb von Kenntnissen noch zum Differenzieren von Bewertungen einlädt, sondern nur zu jenem Urteilen ohne Begriff und ohne Anschauung ermuntert, das man dem Vorurteil reserviert. Man sagt diesen gescholtenen Jugendlichen, die hier auf der Tribüne zuhören, aber auch: Jahrestage und Gedenkstunden sind mitunter eine feierliche Form, durch Erinnern der Vergangenheit den Garaus zu machen.
Doch der Atem des Gedenkens ist kurz. Als Siegmund Ehrmann ( SPD ) seine Sätze leise und bemüht herausbringt, sind viele im Saal nicht bei ihm. Bei den Grünen gibt es gerade nur Tratschrunden, die Mehrheit der anderen ist bei ihren Displays. Es ist, als habe jemand aufgerufen zur stillen Selbstbeschäftigung, und der Redner gedenkt und bewältigt weiter. Die Besucher, die gerade erst kamen, gehen wieder, lamentierend. Die Regierungsbank liegt leer da.
Wenn unter allgemeinem Kommen und Gehen das Debattenthema gewechselt wird, ist die Unruhe immer am größten. Wer jetzt am Rednerpult steht, ringt vor allem um das Rederecht, um sich, seinen Standpunkt, das eigene Rechthaben. Die Gesichter der Menschen auf der Tribüne beantworten diese Reden nicht. Die Blicke schweifen. Man verwendet nun neunzig Minuten auf die Darlegung dessen, was jedes Jahr fast gleichlautend gesagt und allenfalls in den Zahlen auf den neuesten Stand gebracht wird. Jedes Jahr sagt eine Fraktion zum Thema »Entgeltgleichheit für Frauen und Männer«: Man muss sie gesetzlich verankern. Die Gegenseite setzt dann auf Freiwilligkeit. Die dritte beklagt zu viel Bürokratie. Die letzte sagt einfach mal: skandalös! Und am Ende bleibt alles, wie
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