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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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aber die seiner Fraktion zuteil.
    Drei Punkte nennt Zimmer und sagt erstens: »Wir mögen nicht mehr fortschrittsgläubig sein, aber wir sind zutiefst technikgläubig, bis in die Tiefenstrukturen unseres Denkens hinein. Das ist das vielbeschworene Gehäuse der Hörigkeit, das wir durch unseren Lebensstandard kommod ausgestattet haben. Wir sind wohlgenährte Troglodyten unserer technischen Möglichkeiten. Technikfolgen haben wir noch immer mit irgendeiner Folgetechnik bewältigt. Ich frage hier lediglich skeptisch: Können die Probleme auf Dauer mit der Form des Denkens gelöst werden, die uns die Probleme eingebracht hat?
    Zweitens: ›Wo keine Götter sind, da walten Gespenster‹, so Novalis. Die technische Zivilisation hat ihre metaphysische Heimat längst verloren. Die permanente existentielle Absturzgefährdung wird durch die Gespenster unserer Zeit abgesichert: Konsum, Bedürfnisbefriedigung, die Zufriedenheit im Materiellen, der Rausch und der Reiz des Neuen. Unser Gespenst, unser Fetisch, ist das Wachstum. Kommt es abhanden, stoppt der Motor, bricht Panik aus. Zu viel hängt davon ab. (…)
    Drittens. Wir haben häufig über die Ambivalenz des Fortschritts diskutiert. Der Begriff scheint eingedunkelt, aber nach wie vor von faszinierender Strahlkraft. Immer noch verspricht er Befreiung von Mühsal und Plage, von Arbeit und Anstrengung. Immer noch steckt dahinter die Vorstellung, der Mensch könne das verlorene Paradies durch die Umgestaltung der Natur zurückgewinnen und sich im Zuge dessen gewissermaßen selbst zivilisieren und veredeln.
    Das ist eine zentrale Idee im Projekt der Moderne. Darin zeigt sich noch heute ihr überschießendes normatives Potential. Es muss aber eingebunden werden in ein Bild des Menschen, das ihn als Person ernst nimmt. Hierzu hat gerade die katholische Soziallehre in den letzten Jahrzehnten viel Nachdenkenswertes beigetragen. Ich wünsche mir persönlich, dass vor allem die Union diese Ideen aufgreift, kreativ umsetzt und politisch wirksam werden lässt. Wir wollen als Union nicht nur der Sachwalter des Bestehenden sein, der alles, was wirklich ist, als vernünftig verklärt, und ebenso wenig sollten wir in den Paradigmen reiner Marktliberalität gefangen bleiben. Dies sollten wir anderen überlassen.
    Wir sind keine ›gottlosen Selbstgötter‹, um ein böses Wort von Heinrich Heine aufzugreifen (…). Wir müssen schon den Ehrgeiz haben, die Gesellschaft nach einem im Transzendenten verhafteten Bild des Menschen zu gestalten. Ich habe in den vergangenen 28  Monaten viel gelernt: in den Sitzungen wie in den Arbeitsgruppen, durch Widerspruch ebenso wie durch Zuspruch. Das Lernen war nicht nur ein inhaltliches; es bestand auch in der Erfahrung der Kooperation über Fraktionsgrenzen hinweg. Im fachlichen Ringen hat sich manche persönliche Hochachtung entwickelt – auch Freundschaft. Am Ende bedrängte uns aber der Eindruck, dass wir noch mehr hätten machen können. Manche Fäden blieben unverbunden liegen. Ich wünsche mir, dass der Deutsche Bundestag an den aufgeworfenen Fragen weiter arbeitet.«
    Das Erstaunliche der Rede verrät sich nicht allein in Diktion und Reflexionsanspruch, es liegt auch in der Fähigkeit, diese auf der Basis christdemokratischer Überzeugungen zu artikulieren und sie gleichzeitig selbstkritisch anzulegen. Das Einzige, was dieser signifikanten Rede fehlt, ist der Applaus der eigenen Partei, und so endet Zimmer mit einem Appell, der schon in der Resonanz der eigenen Leute verpufft: »Wir können es dem Deutschen Bundestag zumuten, sich mit einem Bericht auseinanderzusetzen, der nicht schon von vornherein die eingeübten Lagerzugehörigkeiten abbildet. Das erfordert von allen Fraktionen ein wenig mehr Mut und ein wenig mehr Vertrauen. Aber ich glaube, es lohnt sich.« Das Protokoll vermerkt: »Beifall bei der SPD , der Linken und dem B   90 / DIE GRÜNEN sowie der Abg. Stefanie Vogelsang ( CDU / CSU ) und Frank Heinrich ( CDU / CSU ).«
    Nur Zeiten, die vieles zu wünschen übrig lassen, sind auch stark im Visionären. Diese Zeit ist es nicht, deshalb befindet sich die Zukunft auch eher im Stillstand. »Die Welt des Werdens ist keiner wirklichen Gewissheit fähig«, sagt Aristoteles, und so wird die Zukunft, auch wenn sie jeder im Munde führt, weniger imaginiert als vielmehr ignoriert. Die Utopie hat keine Konjunktur, und wie alle Ressourcen wird auch die Zukunft knapp. Am Ende aller Berechnungen ist sie eben keine Unbekannte mehr, und was kommt,

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