Das Hohe Haus
denen sie zum Metzger gehen und mit Namen angesprochen werden, und man sagt: Ich habe Sie gewählt, so wie man mit seinem Pullover, mit seiner Brille ein »Statement« abgibt. Und dann die Typologie: da ist Rösler, Typus Nesthäkchen, einer, der geliebt werden will, Kindervergleiche liebt, in Kostüm kursiert, verniedlicht auftritt; dann ist da der rabiate Kauder, der Flegel vom Bolzplatz; der listige Gysi, der mit Pointen punktet; Göring-Eckardt, das beseelte Mädchen, das handfest sein kann – wer wären sie im Drama, in der Soap?
Offenbar sind sie jedenfalls überzeugt, dass alles, was hier gesprochen wird, das Land erreicht – weil Kameras da sind, weil die Tribünen besetzt sind, weil Augen auf ihnen ruhen, weil das Haus das Hohe ist. Und so sprechen sie Opfern ihr Mitgefühl aus, Helfern ihren Dank, Soldaten ihren Respekt, tun es mit der Hoheit ihrer Position und machen sich lieber nicht klar, dass diese Rede im Nirgendwo landet. Manche reden an der äußersten Rampe der Bühne, manche streunen, manche sammeln sich wie die zurücklaufende und wieder ausholende Welle, manche stehen am Pult, als wollten sie dort nicht auffallen.
Heute würdigen sie die Freiberufler, die künstlerischen, die journalistischen, auch die Pressefotografen, die oft in beengten Verhältnissen leben und kaum ihr Auskommen finden. Sie sind nicht »Mittelstand«, sind »Kreativwirtschaft«, kommen im Bundestag nur selten vor und laufen der Gesellschaft doch voraus in Arbeitsformen, in denen sie sich immer wieder gegen satte Einkommen und für größere Unabhängigkeit entscheiden. Die Debatte sagt beides: dass man von ihnen weiß und dass man sie nicht zu fassen versteht, weshalb sie in ihrer Lebensform seltsam aus der Ordnung fallen.
Ganz anders, wenn in der neuesten Auflage der Steuerdebatte Steinbrück gegen Schäuble antritt. Dies ist höfisches Zeremoniell: Zwei, die sich schätzen, die auch im nichtöffentlichen Austausch stehen und ihn öffentlich an vielen Orten ausgetragen haben, eröffnen die nächste Partie im Zahlen-Schach. Sie ist sauber zu spielen, die empathiefreien Themen sind klinisch behandelbar. Beide scheinen erleichtert, ihre Worte nicht auch noch mit Menschlichem belasten zu müssen, und so dreht sich die Debatte am Ende immer im selben Scharnier, ja, selbst die Kritik der Debatte tut es.
Der Geruch des Geldes ist noch in der Luft, als Staatsministerin Cornelia Pieper ( FDP ) den »Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik« vorstellt mit dem Satz: »Keine Regierung zuvor hat so viel in die Köpfe junger Menschen im Ausland investiert.« Niemand, der Kultur von innen denkt, »investiert« in Köpfe. Doch unverhohlen wird Kulturpolitik auch verstanden als Werbung für den »Wirtschaftsstandort Deutschland«, die Projektleitung des »Deutschlandjahres« in Brasilien wurde deshalb auch an den Bundesverband der Deutschen Industrie vergeben. Das bedeutet: Von »Kulturaustausch« ist zwar die Rede, von der fremden Kultur aber, die sich die Deutschen aneignen könnten, nirgends.
Plausibel also die Empörung von Ulla Schmidt ( SPD ), die festhält, dass Außenminister Guido Westerwelle in dieser Legislaturperiode keine einzige Sitzung des Kulturausschusses besuchte: »Das einzige Interesse, das er hat, ist, dafür zu sorgen, dass die Erfüllung der deutschen Wirtschaftsinteressen im Ausland gewährleistet ist.« Dass sich in dieser Marktwirtschaft alles an der Verkäuflichkeit bewähren muss, hat die Kultur längst erfasst und beschädigt ihre Substanz. Demokratie ist aber nicht Herrschaft der Mehrheit, sondern Schutz der Minderheit unter dem Protektorat der Mehrheit. Nur wenn sie sich so versteht, kann sie also auch kulturelle Vielfalt gewährleisten.
Auch deshalb ist der folgende Auftritt von Peter Gauweiler ( CDU / CSU ) gelinde spektakulär, vertritt er doch eine demokratische Überzeugung, die sich über Blöcke und Fraktionen weitgehend hinwegsetzt. In ihrer reinen Form kann man die parlamentarische Idee nur gegen den Fraktionszwang denken. Dieser steht weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestags. Er ist eine Huldigung der Partei, wird doch unterstellt, es sei ihre Gnade, die die Karriere des Politikers, seinen Platz im Parlament gesichert habe, und geschlossenes Abstimmungsverhalten sei der Tribut, den sie fordere.
Der Fraktionszwang ist die plausible Konsequenz aus der Parteiendemokratie, und diese ist vorparlamentarisch organisiert. Man lässt das Volk
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