Das Hohe Haus
kommt nicht als Utopie, sondern als Aufgabenstellung für den Pragmatismus. Da aber die wahren Paradiese ohnehin jene sind, die wir verloren haben, stellen sich manche die ideale Zukunft schon als die Wiederkehr des Vergangenen vor oder schlicht als Erlösung. So gesehen hat die Zukunft keine Zukunft, und Tagespolitik fungiert eher als Ablenkung von den Jahrhundertveränderungen. Näherte man sich ihr realistisch, mit der »Zukunft« ließe sich kaum Wahlkampf führen.
Nur selten widmet sich das Parlament Fragen, die Grundlagen der gesellschaftlichen Entwicklung betreffen. Die demographischen Prozesse allein aber gäben solchen Debatten ausreichende Brisanz. Bei humanitären Fragen dagegen mag es zwar einen Konsens der Grundüberzeugungen geben, schon in der Anschauung der Probleme aber waltet kognitive Dissonanz. So spricht Hartfrid Wolff ( FDP ) zwar über den Gesetzentwurf zur »Bekämpfung des Menschenhandels«, spricht von der gewerberechtlichen Überwachung der Prostitution – ein Bild von Verschleppung, von Zwangsprostitution, von Opfern aber entsteht nicht. Was zu ihrer Lage zu sagen ist, wird heruntergeleiert, der Aufwand an Paragraphen ist hoch. Vielleicht ist es nicht nötig, erfahrbar zu machen, vielleicht reicht die Benennung von Tatbeständen, aber wenn dies auch in der Bekämpfung des Menschenhandels »vier gute Jahre für Deutschland« gewesen sein sollen, wenn also die Selbstzufriedenheit auch hier überwiegt, dann schlägt man sich sofort auf die Seite von Eva Högl ( SPD ), die ihren Vorredner fix und fertig macht, indem sie ihn zitiert.
Von ihren ersten Worten an spricht sie voller Anschauung, beweist, wie sich eine Rhetorik der inneren Beteiligung von einer Rhetorik der Bürokratie abhebt, ist auch faktisch tiefer in der Sache als ihr Vorredner, attackiert spitz und mutig, fixiert die Drahtzieher, aber auch die Freier, meint es persönlich, identifiziert auch den politischen Gegner, der einer in der Sache ist, erlaubt ihm keinen Rückzug hinter Rhetorik und blamiert den »Murks« seines Entwurfs. Muss sie nicht dennoch verzweifeln, angesichts der vielen vergeudeten Arbeit, weil schließlich der Murks gewinnen wird?
Auch Ute Granold ( CDU / CSU ) kennt sich genau genug aus, um ohne Papier sprechen zu können. Seit elf Jahren treibt sie das Thema um. Sie sitzt im Stiftungsbeirat einer Opferschutzorganisation, sucht sogar Bordelle in Tschechien auf, produziert Erschrecken bei den Zuhörern. Es ist ein sonniger Spätnachmittag, und man steigt in die Keller einer Kultur des Heimlichen. Auch Granold verwahrt sich gegen das parteipolitische Kalkül, wozu ausgerechnet Hartfrid Wolff ( FDP ) mit großer Geste applaudiert. Doch das imponiert der Rednerin nicht. Sie könnte ausschließlich für diese Sache im Parlament sitzen, so ungeduldig ist sie, den Gesetzentwurf als etwas Vorläufiges zu bezeichnen und weiterzuentwickeln.
Alle Frauen, die nun sprechen, ob Katrin Werner ( DIE LINKE ) oder Monika Lazar ( B 90 / DIE GRÜNEN ) sind überzeugend, indem sie durch Fakten entwaffnen. Es geht um Frauenausbeutung, um Menschenrecht. Da ist es blamabel, dass der Gesetzentwurf zwei Jahre brauchte und doch kein einziges Mal den »Opferschutz« nennt. Auf der Tribüne schleppt sich eine weißhaarige Frau gerade in ihren Rollstuhl, dann dem Ausgang zu. Sie sieht todkrank aus, hat aber diese Debatte besucht, als sei sie etwas, das sie vor ihrem Ableben unbedingt noch erleben wollte.
Sie verpasst die Rückkehr der Männer in die Debatte. Hans-Peter Uhl ( CDU / CSU ) geht es vor allem darum, festzustellen, Eva Högl ( SPD ) und Volker Beck ( B 90 / DIE GRÜNEN ) hätten »schwere Schuld auf sich geladen«, und Frank Heinrich ( CDU / CSU ) baut sich voller Pathos als ehemaliger Heilsarmist und noch tätiger Menschenrechtler so breit vor den Opfern auf, dass von diesen nichts mehr zu sehen ist. So endet diese Debatte.
Nachdem dann noch die »steuerfinanzierte Garantierente« das ganze Aggressionspotential der Finanzpolitiker geweckt hat, kommt es in der abendlichen Stimmung zu unvermittelten Ausbrüchen von Rührung. Neben jeder Absicht, jedem Zweck, jeder vertretenen Idee gibt es ja immer noch diese Person dahinter, die dann heimgeht und vielleicht eine Platte auflegt, mit Kopfkissen schläft, sich gerne etwas kocht. Gleich, welche Entscheidung sie trifft, welche Rede sie hält, da ist immer noch das Trägermedium, die Persönlichkeit des Abgeordneten. Und manchmal, oft unwillentlich, zeigt sich die Person.
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